SENSITIVITY READER – DIE NEUEN ZENSOREN

Der Vormarsch der „Fühlpolizei“

In den letzten Jahren haben sogenannte Sensitivity Reader, in gewissen intellektuellen Kreisen fast schon verherrlicht, ihren unaufhaltsamen Vormarsch in der Literatur- und Medienbranche begonnen. Ihr erklärtes Ziel: das Korrigieren, Neutralisieren und Anpassen von Inhalten, die als potenziell verletzend empfunden werden könnten. Sie sehen sich selbst als Bewahrer einer neuen Moral, in der das individuelle Empfinden einer kleinen, lautstarken Minderheit zur Maxime erhoben wird. Doch in Wahrheit sind sie die neuen Zensoren. Sie entscheiden nicht nur, was gesagt werden darf, sondern auch, wie es gesagt werden muss.

Was dabei auf der Strecke bleibt, ist die Kunst der Provokation, der kontroverse Diskurs, das Aufrütteln von eingefahrenen Denkmustern – kurzum: alles, was literarische Freiheit ausmacht. Unter dem Deckmantel des Wohlwollens und der Rücksichtnahme wird eine neue Form des Totalitarismus eingeführt. Es geht längst nicht mehr nur darum, diskriminierende Inhalte zu vermeiden, sondern um die Unterwerfung der gesamten Kulturproduktion unter ein starres Regelwerk, das keinerlei Abweichung duldet. Werke werden ihrer Ambivalenz beraubt, indem jedes potenziell anstößige Element vorsorglich eliminiert wird.

Literatur als Kuschelzone?

Die große Gefahr, die von dieser Bewegung ausgeht, liegt nicht nur darin, dass literarische Werke vor ihrer Veröffentlichung durch die Filter der Sensitivity Reader gezwungen werden. Vielmehr wird dadurch auch die Art und Weise verändert, wie Autoren überhaupt schreiben. Es entsteht ein Klima der Selbstzensur, in dem das kreative Risiko zunehmend vermieden wird, um nicht den Zorn der Fühlpolizei auf sich zu ziehen. Die literarische Landschaft wird glattgebügelt, bis sie nichts weiter als eine sanfte, unverbindliche Kuschelzone ist.

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Der Anspruch auf Vielfalt und Inklusion, den sich Sensitivity Reader auf die Fahnen geschrieben haben, verkommt zur Farce. Statt Vielfalt herrscht Uniformität. Jede Geschichte muss die gleiche Anzahl von Frauen, People of Color, LGBTQ+-Charakteren und anderen marginalisierten Gruppen aufweisen, ohne Rücksicht darauf, ob dies dem Werk dient oder nicht. Die literarische Freiheit, komplexe Charaktere zu erschaffen und provokative Themen zu erforschen, wird systematisch beschnitten. Stattdessen wird eine sterile, konfliktfreie Realität erschaffen, die so flach und uninspirierend ist, dass sie jeglicher kreativen Tiefe entbehrt.

Die Rückkehr der Zensur im digitalen Zeitalter

Es ist ein Paradoxon unserer Zeit: Während wir in einer Ära leben, die sich rühmt, freier und offener denn je zu sein, kehren wir in puncto Zensur zu Mechanismen zurück, die man eher im 19. Jahrhundert vermuten würde. Sensitivity Reader verkörpern eine neue Form der Kulturkontrolle, die sich als „progressiv“ tarnt, dabei aber zutiefst restriktiv und rückwärtsgewandt ist. Während früher Kirchen oder staatliche Instanzen darüber entschieden, was gesagt werden darf, sind es heute private Unternehmen und selbsternannte Moralapostel, die festlegen, was in der Kunst erlaubt ist.

Besonders in den USA hat sich diese Form der Zensur bereits tief in die Literaturbranche eingefressen, doch auch in Europa ist der Trend deutlich spürbar. Verlage und Autoren sehen sich zunehmend gezwungen, ihre Werke vor Veröffentlichung „prüfen“ zu lassen. Die Auswahl von Themen und Charakteren wird bereits im Keim erstickt, bevor sie überhaupt das Licht der Öffentlichkeit erblicken. Selbstklassische Werke werden einer nachträglichen Säuberung unterzogen, um modernen „Empfindlichkeiten“ gerecht zu werden. Werke, die einst als Meisterwerke galten, werden umgeschrieben oder gar aus dem Verkehr gezogen, weil sie nicht mehr in das neue moralische Korsett passen.

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Eine Gesellschaft auf dem Weg zur Selbstverstümmelung

Der Einfluss der Sensitivity Reader ist ein Symptom für eine tiefgreifende gesellschaftliche Entwicklung: die Angst vor Meinungsfreiheit und Ausdrucksfreiheit. In der Sorge, niemanden zu verletzen, wird jede Äußerung auf die Goldwaage gelegt, jede Form der Satire und Provokation wird im Keim erstickt. Diese Entwicklung führt uns in eine düstere Zukunft, in der die Angst vor öffentlicher Missbilligung jede freie Diskussion im Keim erstickt.

Ironischerweise tritt genau das ein, was die Befürworter dieser Bewegung verhindern wollen: Gesellschaftliche Spaltungen vertiefen sich, weil jegliche Form von Auseinandersetzung vermieden wird. Eine Gesellschaft, die nicht mehr fähig ist, sich mit kontroversen Themen auseinanderzusetzen, verkümmert geistig. Statt Diskurs gibt es Monologe, statt Vielfalt wird Einfalt propagiert. Sensitivity Reader sind nicht die Retter der Literatur, sondern ihre Totengräber.

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