Rassismus oder Erfahrung

Von Oma Erna und dem verdächtigen Auftreten der Rentnergeneration

Es ist mal wieder so weit. Die Polizeikontrolle an deutschen Bahnhöfen läuft auf Hochtouren. Mit geschultertem Funkgerät, markigem Gesichtsausdruck und dem unerschütterlichen Glauben, das Sicherheitsgefühl der Republik durch eine präzise Auswahl potenziell krimineller Elemente zu erhöhen, treten die Beamten auf. Nur – was macht Oma Erna hier? Auf den ersten Blick könnte man meinen, dass sie sich einfach auf einem Ausflug in die Großstadt befindet, vielleicht nach dem Arztbesuch noch schnell ein Brötchen kaufen oder Enkel Ludwig vom Kindergarten abholen will. Aber nein! Wir wären nicht in Zeiten sensibilisierter Racial-Profiling-Debatten, wenn wir Oma Erna nicht einer gründlichen Befragung unterziehen würden. Denn wie sonst sollen wir der Gerechtigkeit Genüge tun?

Oma Erna, 83 Jahre jung, Gehstock in der linken Hand, trägt zweifelsohne alle Merkmale eines unauffälligen Menschen. Doch genau darin liegt die Gefahr. Während sich Experten der Sicherheitsbranche in endlosen Talkshows die Köpfe über unbewusste Vorurteile und diskriminierende Polizeipraktiken zerbrechen, ruht in Ernas wettergegerbtem Gesicht das Antlitz der subtropischen Unterwelt. Warum ist sie hier? Warum jetzt? Warum allein? Was führt diese offenbar liebenswürdige alte Dame im Schilde? Sie hat zweifellos eine Agenda. Schließlich ist Erfahrung der beste Lehrmeister – und Oma Erna hat viel gesehen.

Schwarze Hoodies vs. graue Dauerwellen

Racial Profiling, so wird uns gerne erklärt, ist ein Relikt aus dunklen Zeiten, in denen Menschen allein aufgrund ihrer Hautfarbe, ethnischen Merkmale oder Kleidung herausgegriffen wurden. Kein Platz für diese Archaismen in unserer modernen Gesellschaft! Heute gilt der Grundsatz: Jede und jeder ist gleich verdächtig. Wir fragen uns nur: Wo bleibt die Praxis? Wie viele von uns haben bereits beobachtet, wie Polizisten mit besorgten Blicken einen jugendlichen Straßengangster in Turnschuhen und Kapuzenpullover filzen, während sie achtlos an einer Gruppe von Seniorinnen vorbeigehen, die zweifellos im Begriff sind, einen kolossalen Keksdiebstahl zu planen?

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Wenn es um Gleichbehandlung geht, sollten wir von den Beamten erwarten, dass sie bei einer Kontrolle keine Unterschiede machen. Doch was passiert? Während der Kapuzenpullover-Träger am Rand des Bahnsteigs steht, das Gefühl eines willkürlichen Verdachts auf ihm lastet wie ein nasser Regenmantel, schlurft Oma Erna zielstrebig in Richtung Kaffeebude. Keine Fragen, keine Durchsuchung, kein Stirnrunzeln der Beamten. Ein Skandal! Denn was viele nicht wissen: Im Jahr 1974 hat Oma Erna ein Kaugummi geklaut – und seither ist ihr kriminelles Potential in der Statistik sträflich unterrepräsentiert. Wäre es nicht längst an der Zeit, dieser übersehenen Gefahr ins Auge zu blicken?

Oma Erna als Sinnbild des unverdächtigen Verbrechens

Nun könnten uns Kritiker entgegnen, dass Oma Erna sicherlich nicht in den Fokus der Sicherheitsbehörden gehört. Ein fataler Irrtum! Hier greift die klassische Fehlinterpretation des Sicherheitsgefühls in der Bevölkerung. Sie glauben, wir wären beruhigter, wenn wir uns von Polizisten umgeben sehen, die ihre Augen auf junge Männer mit südländischem Aussehen richten? Weit gefehlt! Wahre Sicherheit entsteht erst, wenn wir beginnen, auch die harmlos wirkenden, unverdächtigen Gruppen zu durchleuchten. Die subtilen Gefahren lauern oft hinter den Falten eines freundlichen Lächelns. Denn das Böse, so lehrt uns die Popkultur, kommt oft in Gestalt des Unscheinbaren. Alfred Hitchcock wusste das, und die Sicherheitsbehörden sollten es längst verinnerlicht haben.

Oma Erna, mit ihrem harmlosen Lächeln und der beigen Strickjacke, ist das perfekte Beispiel für die Subversion des typischen Täterbildes. Während sich alle Augen auf den übergewichtigen Mittzwanziger im Hip-Hop-Outfit richten, der nach einem langen Arbeitstag müde auf die Uhr blickt, hebt sie zielsicher den Gehstock und marschiert zum Fahrkartenschalter. Wer fragt sie, was sie dort wirklich will? Niemand. Und hier liegt die wahre Tragödie. Warum scheint es wenig sinnvoll, Oma Erna zu kontrollieren, wenn doch jedes Verbrechen die gleiche Chance verdient, aufgedeckt zu werden? Man könnte fast glauben, es gäbe noch so etwas wie gesunden Menschenverstand.

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Warum Gleichheit im Verdacht die Lösung ist

Wenn wir schon von Racial Profiling sprechen, dann sollten wir uns auch den unangenehmen Fragen stellen: Wann haben wir angefangen zu glauben, dass Erfahrung und kriminalistischer Instinkt keine Rolle mehr spielen? Warum haben wir die Illusion erschaffen, dass der Polizeialltag eine seelenlose Liste von Gleichbehandlungsansprüchen ist? Die Beamten, die am Bahnhof patrouillieren, tun dies nicht aus purer Willkür, sondern auf Basis jahrelanger Erfahrung. Es ist die Erfahrung, die ihnen sagt, dass Oma Erna wahrscheinlich nur auf ihre Enkel wartet und nicht das nächste große Ding plant. Diese Erfahrung hilft ihnen, den 17-jährigen Rucksacktouristen links liegen zu lassen und den Mann mit der Panik in den Augen zu überprüfen. Denn wer kennt den Anblick eines schlechten Gewissens besser als die Profis in Uniform?

Doch anstatt dieser Erfahrung zu vertrauen, bevorzugen wir in unseren Debatten die Idee, dass jeder Mensch jederzeit, überall verdächtig ist. Das Ergebnis? Eine Gesellschaft, die sich so sehr bemüht, niemanden zu benachteiligen, dass sie das wahre Problem aus den Augen verliert: Kriminalität ist nicht gleich verteilt. Erfahrung und gesunder Menschenverstand zeigen uns, dass Oma Erna wohl nicht der Kopf einer internationalen Drogenbande ist. Doch in unserem verzweifelten Versuch, politisch korrekt zu bleiben, hinterfragen wir sogar diese offensichtliche Tatsache. Die eigentliche Satire liegt in der Realität – und sie ist bitter.


Quellen und weiterführende Links:

  1. „Racial Profiling: Diskriminierung durch die Polizei?“ – Bundeszentrale für politische Bildung.
  2. „Diskriminierungsfreier Sicherheitsdiskurs: Utopie oder Notwendigkeit?“ – Heinrich-Böll-Stiftung.
  3. „Polizeiarbeit im Fokus: Zwischen Erfahrung und Vorurteil“ – Spiegel Online.
  4. „Sicherheitsgefühl in Deutschland: Realität und Wahrnehmung“ – Institut für Demoskopie Allensbach.
  5. „Kriminalität und Altersgruppen: Wo lauern die wahren Risiken?“ – Statistisches Bundesamt.
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