Nationalratswahl light
Vor der Wahl ist nach der Wahl
Stellen Sie sich vor, Wahlen wären tatsächlich so wirksam, wie es uns die Hochglanz-Wahlwerbungen und glattpolierten TV-Duelle verkaufen wollen. Ja, wirklich. Was wäre, wenn ein Kreuzchen auf einem Zettel das Fundament der Gesellschaft revolutionieren könnte? Wenn es die versteckten Netzwerke der Korruption wegspülen, den Klimawandel aufhalten und die soziale Gerechtigkeit wiederherstellen könnte? Unvorstellbar, oder? Richtig, das ist Science-Fiction. Wer immer noch glaubt, dass Wahlen grundlegend etwas verändern, der glaubt wahrscheinlich auch, dass Einhörner den Regenbogen am Himmel festnageln.
Dabei sind Wahlen in Österreich doch das, was der sonntägliche Besuch im Kaffeehaus ist: gemütlich, gewohnt und völlig unaufregend. So auch die kommende Nationalratswahl. Die große Schlacht zwischen Rot, Schwarz und Pink, in der es angeblich um alles geht, aber letztlich um nichts. Warum? Weil das Spiel längst entschieden ist, bevor der Ball überhaupt rollt. Das Ergebnis? Eine Farce, die uns als demokratische Selbstbestimmung verkauft wird, während im Hintergrund längst die Fäden gezogen wurden. Die SPÖ, ÖVP und NEOS haben schon alles für den 30. September beschlossen. Die Wahl ist nur noch das Theaterstück, bei dem wir die Statisten spielen dürfen.
Demokratie als Reality-TV
Es hat schon etwas Zynisches, wenn Politiker in Talkshows mit ernsten Mienen verkünden, dass „alles auf dem Spiel steht“. Dabei ist das Einzige, was wirklich auf dem Spiel steht, die Glaubwürdigkeit des ganzen Spektakels. Wer will sich schon eingestehen, dass der politische Diskurs längst die seichte Unterhaltung eines Reality-TV-Formats erreicht hat? Man tauscht sich gegenseitig Worthülsen zu wie Teenager auf der Suche nach dem nächsten Like auf Instagram. Man hat sich arrangiert: Die Partei-PR-Abteilungen füttern uns mit dem immergleichen Wohlfühlbrei, während sie hinter verschlossenen Türen längst wissen, dass sich das Machtgefüge nicht verschieben wird. Es ist wie bei einer schlechten Soap: Der Plot ist vorhersehbar, aber wir schalten trotzdem ein, in der vagen Hoffnung, dass irgendwann mal etwas Überraschendes passiert. Spoiler: Es passiert nicht.
Die Wahlen? Ein Ritual, das sich selbst genügt. So, als ob man einen defekten Toaster immer wieder an den Strom anschließt und hofft, dass irgendwann doch einmal Toast herauskommt. Aber hey, wenigstens glühen die Heizdrähte schön, nicht wahr? Es ist nicht so, dass Wahlen nutzlos wären – sie sind einfach nur nutzlos in dem Sinne, wie sie uns verkauft werden. Sie erzeugen ein Gefühl von Beteiligung, von Mitbestimmung. Aber das ist wie bei einer Lotterie, bei der nur der Veranstalter gewinnt.
Die Wahl als demokratischer Placebo
Natürlich muss es eine Wahl geben, so wie es in der Medizin Placebos gibt. Sie helfen zwar nicht, aber sie verhindern Panik. Der Wähler, dieser moderne Homo politicus, bekommt das beruhigende Gefühl, dass seine Stimme zählt, dass er mit einem Kreuz auf einem Zettel ein System lenken kann, das sich seit Jahrzehnten erfolgreich gegen jede Art von Veränderung immunisiert hat. Die Wahl ist der Placebo für die Demokratie: Ein billiges Mittel, das das kollektive Gewissen beruhigt, ohne die Ursachen der Krankheit anzugehen.
Es ist, als ob man ein völlig löchriges Dach hat und statt es zu reparieren, den Bewohnern immer neue Eimer zum Auffangen des Regenwassers hinstellt. Man gaukelt ihnen vor, sie könnten das Problem in den Griff bekommen, indem sie einfach eifrig weiter die Eimer leeren. Dabei könnte jeder halbwegs denkende Mensch erkennen, dass das Haus längst unbewohnbar ist. Aber der Trick ist eben, die Leute zu beschäftigen – mit den Eimern, mit den Kreuzen, mit den Pseudo-Debatten.
Und so gehen wir in die nächste Runde des großen, nationalen Wählens, in der Hoffnung, dass diesmal vielleicht wirklich etwas anders wird. Dass diesmal das Dach repariert wird, statt uns noch einen Eimer hinzustellen. Aber, und das ist das Schöne an der Demokratie: Sie ist wunderbar elastisch. Egal, wie viele Löcher sie hat, sie bricht nie zusammen – zumindest nicht offiziell. Denn wenn sie es täte, wäre es ja offensichtlich, dass das ganze System nur noch eine Fassade ist.
Die Wahl als Witz – ein schlechter
Man könnte fast lachen, wenn es nicht so traurig wäre. Wir diskutieren über Koalitionen, als gäbe es echte Alternativen. SPÖ, ÖVP, NEOS – das politische Personal dreht sich im Kreis, während sie alle dasselbe Lied singen, nur in leicht unterschiedlichen Tonlagen. Die Wahl ist in diesem Sinne kein demokratisches Instrument mehr, sondern eine Choreografie. Jeder hat seine Rolle, jeder kennt seinen Einsatz, und am Ende applaudieren wir artig.
Der eigentliche Witz ist jedoch, dass viele tatsächlich glauben, sie hätten die Wahl. „Wählst du rot, blau oder grün?“ fragt man uns, als ob es einen Unterschied machen würde. In Wahrheit sind das nur Nuancen in der großen Farbmischung der politischen Langeweile. Das Rezept bleibt dasselbe: eine Prise Neoliberalismus, vermischt mit einem Hauch Sozialpolitik und garniert mit Umweltrhetorik. Fertig ist der Einheitsbrei, der uns als Wahlmenü serviert wird. Guten Appetit.
Was wäre, wenn Wahlen tatsächlich etwas ändern könnten?
Wenn Wahlen wirklich etwas ändern könnten, wären sie längst verboten. Denn die Mächtigen lassen sich nicht freiwillig demontieren. Nein, sie haben das System so perfektioniert, dass es sich immer wieder selbst legitimiert, ohne je wirklich in Frage gestellt zu werden. Das Kreuz auf dem Wahlzettel ist der Nachweis unserer Zustimmung, nicht mehr und nicht weniger. Wir spielen das Spiel mit, weil wir keine Alternative sehen, weil uns eingeredet wurde, dass es das beste verfügbare System sei.
Aber die Wahrheit ist: Es ist nicht das beste System. Es ist das bequemste System – für jene, die an den Schalthebeln der Macht sitzen. Denn was ist bequemer, als ein Wahlvolk, das regelmäßig in die Urne greift, in der Hoffnung, dass diesmal vielleicht eine echte Veränderung herauskommt?
Und so stehen wir wieder vor der Wahlurne, vor der nächsten Wahl. Vor der nächsten Farce. Vor dem nächsten Placebo. Es bleibt die Frage: Wie viele von uns werden diesmal noch daran glauben?
Quellen und weiterführende Links:
- Chomsky, Noam: Manufacturing Consent: The Political Economy of the Mass Media. (Pantheon Books, 1988)
- Fisher, Mark: Capitalist Realism: Is There No Alternative? (Zero Books, 2009)
- Graeber, David: The Utopia of Rules: On Technology, Stupidity, and the Secret Joys of Bureaucracy. (Melville House, 2015)
- Artikel: Politische Apathie und Demokratiekrise in Europa, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Ausgabe Juni 2023
- Link: Wahlstatistiken und Analysen zur Nationalratswahl 2024, aufgerufen am 15. September 2024, unter www.statistik-austria.at/nrwahlen