Journalismus mit Haltung
Ein Märchen von Unabhängigkeit und moralischem Kompass
Es war einmal, in einer Zeit, als Zeitungen noch nach Druckerschwärze rochen und Nachrichten in mächtigen 4:3-Fernsehbildern über die Wohnzimmer rollten, ein Mann namens Hanns Joachim Friedrichs. Er sprach die berühmten Worte: „Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten.“ Welch noble Geste! Welch reiner Idealismus! Man könnte meinen, Friedrichs habe in einer Elfenbein-Turm-Redaktion gesessen, fernab des Getümmels, und seinen Federkiel in philosophische Tinte getaucht, um dieses Gebot in Stein zu meißeln. In der heutigen Medienlandschaft jedoch erinnert diese Regel an etwas, das ebenso aus der Mode gekommen ist wie Schulterpolster und der Walkman: Distanz, Neutralität und Unparteilichkeit.
Was wohl Hanns Joachim Friedrichs dazu sagen würde, wenn er wüsste, dass sich die „gute Sache“ inzwischen zur journalistischen Lebensader gemausert hat? Dass Distanz eine Tugend von gestern ist und „Haltung“ das Buzzword von heute? In Zeiten, in denen die Grenze zwischen Berichterstattung und Aktivismus mit der Präzision eines Pinselstrichs verwischt wird, scheint es, als hätte der Journalismus seine alten Maßstäbe auf den Altar des Moralisierens gelegt – und sie dort in einer feierlichen Zeremonie verbrannt.
Unparteilichkeit ist tot – Es lebe die „Haltung“
Haltung. Was für ein wunderbares, starkes Wort. Haltung suggeriert Standhaftigkeit, moralische Überlegenheit, einen geraden Rücken in einer Welt der verbogenen Prinzipien. Aber Moment mal, hieß es nicht mal, dass Journalisten die Rolle von Beobachtern einnehmen sollen? Eiskalte Chronisten der Wahrheit, die keine Seite ergreifen und schon gar nicht in den Morast der öffentlichen Meinung hinabsteigen? Nun, das war einmal. Heute ist Haltung das modische Accessoire der Branche, so unverzichtbar wie der perfekt inszenierte Aufschrei auf Twitter oder der morgendliche Flat White im trendigen Redaktionscafé.
„Haltung zeigen“ ist das Gebot der Stunde, selbst wenn es bedeutet, die journalistische Distanz über Bord zu werfen. Ein bisschen Parteinahme hier, ein Hauch von Empörung da – das bringt schließlich Klicks und Likes. Denn wer will schon nüchterne Berichterstattung? Wo bleibt die Leidenschaft, wenn man sich nicht wenigstens ein bisschen über den bösen Kapitalismus, den Klimawandel oder das Schicksal von Pandabären empören darf? Die Welt ist doch viel zu kompliziert, um sie mit kühler, analytischer Distanz zu betrachten!
Der Journalismus auf der moralischen Überholspur
Das Problem mit dieser neuen „Haltung“ ist, dass sie nicht nur schnell den moralischen Zeigefinger zückt, sondern ihn auch gerne mal als Schlagstock benutzt. So sieht man sich plötzlich auf der richtigen Seite der Geschichte, während man all jene, die es wagen, eine andere Meinung zu haben, als rückständige Troglodyten abtut. Denn in der Welt des „Journalismus mit Haltung“ gibt es nur Schwarz und Weiß, Gut und Böse, Klimaretter und Klimaleugner, Freiheitskämpfer und Unterdrücker. Grautöne? Differenzierung? Dafür haben wir keine Zeit! Schließlich steht die Welt am Abgrund, und irgendjemand muss den moralischen Leuchtturm errichten.
Was dabei auf der Strecke bleibt, ist die nüchterne Auseinandersetzung mit Fakten. Wer will schon lange und tiefgründige Analysen lesen, wenn man auch einfach Schlagzeilen à la „Die Apokalypse ist nah“ oder „Die Menschheit steht vor der Klimakatastrophe“ raushauen kann? Schließlich braucht der Konsument klare Richtlinien, eine moralische Leitlinie, an der er sich orientieren kann – und der moderne Journalist mit Haltung liefert diese gerne frei Haus.
Zwischen Leitartikeln und Aktivismus: Das unsichtbare Band
Es gibt ja immer diese hartnäckigen Traditionalisten, die noch an die längst vergessene Grenze zwischen Journalismus und Aktivismus glauben. Diese träumen von einer idealisierten Vergangenheit, in der Journalisten wie Friedrichs ihre Feder als Schwert gegen Ungerechtigkeit schwangen – ohne selbst zum Teil des Kampfes zu werden. Aber Hand aufs Herz: Wer heute auf Neutralität pocht, der hat den Trend einfach verpasst. Die wahren Helden des modernen Journalismus sind schließlich nicht mehr die unbestechlichen Chronisten, sondern die Aktivisten mit Presseticket, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, die Welt zu retten. Eine Aufgabe, die sie selbstverständlich nur dann erfüllen können, wenn sie sich auch persönlich einbringen. Denn wie könnte man die Wahrheit verkünden, ohne selbst die Fahne der „guten Sache“ hochzuhalten?
So wird aus dem klassischen Kommentar, der einst dazu diente, unterschiedliche Perspektiven aufzuzeigen, plötzlich ein Leitartikel, der zur Moralpredigt mutiert. Und aus dem Leitartikel wird dann der Schlachtruf, der durch die sozialen Medien hallt. Ob es um Klimawandel, soziale Gerechtigkeit oder Identitätspolitik geht – der moderne Journalist mit Haltung kennt seine Agenda und verfolgt sie mit dem Eifer eines Missionars. Schließlich geht es ja nicht mehr nur um Berichterstattung, sondern um das „richtige“ Denken. Und das muss man den Menschen eben beibringen, ob sie wollen oder nicht.
Vom Sprachrohr zur Sprachpolizei
„Sich nicht gemein machen mit einer Sache, auch nicht mit einer guten“ – was für ein antikes, fast schon rührend nostalgisches Credo. In der heutigen Medienlandschaft hat es etwa den Stellenwert eines Museumsstücks: interessant, aber längst überholt. Denn warum sollte man sich nicht mit einer guten Sache gemein machen, wenn die Sache doch offensichtlich so gut ist? Warum sollte man neutral bleiben, wenn die Welt um einen herum in Flammen steht und nur der engagierte Journalist das rettende Wasser reichen kann? So jedenfalls die neue Sichtweise.
Und wer entscheidet, was gut und was schlecht ist? Natürlich die Redaktionen, die als selbsternannte Wächter der Wahrheit fungieren. Ihre neue Aufgabe ist es, nicht nur Informationen zu vermitteln, sondern auch die Deutungshoheit über die „richtigen“ Ansichten zu sichern. Wer nicht auf Linie ist, wird gnadenlos aussortiert – sei es durch die Kommentarspalten oder, subtiler, durch den sogenannten „diskursiven Ausschluss“. Denn warum sich noch mit anderen Meinungen auseinandersetzen, wenn man doch die moralische Wahrheit bereits gepachtet hat?
Die noble Kunst des Wegsehens: Haltung oder Heuchelei
Es gibt da dieses kleine Problem, das der „Journalismus mit Haltung“ gerne unter den Teppich kehrt: Was, wenn die „gute Sache“ auf den zweiten Blick gar nicht so gut ist? Was, wenn man sich in seinem moralischen Eifer vielleicht doch etwas zu weit aus dem Fenster lehnt? Aber ach, wer kann schon Zeit für Selbstreflexion aufbringen, wenn es doch so viel einfacher ist, moralische Überlegenheit zu demonstrieren?
So wird im Namen der Haltung gerne mal weggesehen, wenn es unbequem wird. Zum Beispiel, wenn Menschenrechte in jenen Ländern mit Füßen getreten werden, mit denen man lieber keinen Ärger haben möchte. Oder wenn man feststellt, dass auch die „gute Seite“ manchmal grausame Fehler macht. Aber keine Sorge: Die Haltung bleibt unerschütterlich, die Heuchelei unsichtbar. Schließlich geht es um das große Ganze – und das ist bekanntlich immer irgendwie gut.
Haltung ist das neue Schwarz
Am Ende bleibt die Frage, was eigentlich aus dem Journalismus geworden ist, der sich nicht gemein macht. Aus jener Distanz, die Friedrichs einst so hochgehalten hat. Sie ist verloren gegangen, vergraben unter einer dicken Schicht aus „Haltung“, Aktivismus und moralischer Selbstgefälligkeit. Der moderne Journalismus trägt seine Haltung wie einen modischen Schal – eng um den Hals geschlungen, um ja nicht zu ersticken an der kalten, harten Neutralität.
Vielleicht braucht die Welt mehr Friedrichs’, die sich wieder daran erinnern, dass der Journalismus nicht dazu da ist, die Welt zu retten oder moralische Urteile zu fällen. Er soll Fakten präsentieren, Meinungen abwägen und den Leser selbst entscheiden lassen. Doch bis dahin bleibt uns nur der Journalismus mit Haltung – schick, trendy und stets mit dem Finger am moralischen Abzug.
Weiterführende Links und Quellen: