Halten die uns alle für Trotteln?
Die Infantilisierung von Politik und Gesellschaft
Willkommen im Kindergarten der aufgeklärten Gesellschaft
Es ist eine dieser bittersüßen Erfahrungen, wenn man die Nachrichten liest oder die täglichen Debatten verfolgt: Man kann gar nicht anders, als sich zu fragen, ob wir uns in einer abgründigen Satire verfangen haben, die von einem genialen, aber zutiefst zynischen Regisseur orchestriert wird. Denn wie sonst ließe sich erklären, dass die öffentliche Debatte inzwischen dermaßen verkindlicht daherkommt, dass man das Gefühl bekommt, Teil eines großen Sandkastenspiels zu sein? Während sich Politiker in einer Art groteskem Überbietungswettbewerb gegenseitig anklagen und überbieten, wirken die Bürger zunehmend wie passive Zuschauer in einem Puppentheater, in dem die Protagonisten längst vergessen haben, was Verantwortung und Reife bedeuten.
Die Frage, die sich uns dabei aufdrängt, lautet: Halten die uns eigentlich für Trotteln? Ganz offensichtlich, ja. Was einst eine komplexe und oft auch mühsame Auseinandersetzung mit Ideen und Werten war, ist heute eine flache, hohle Show, bei der es mehr um Inszenierung und simplifizierte Moralkeulen geht als um das tatsächliche Ringen um Wahrheit oder Gerechtigkeit.
Die Verkindlichung des Diskurses: Von der politischen Debatte zur moralischen Kasperletheater
Wenn man sich die heutige politische Landschaft ansieht, drängt sich ein Bild auf: Wir befinden uns in einem kollektiven Rollenspiel, in dem die Teilnehmer eine kindische Weltauffassung präsentieren, die so simplifiziert ist, dass man fast glauben könnte, es handele sich um eine Schulhof-Diskussion von Drittklässlern. Es gibt die „Guten“ und die „Bösen“, die „Helden“ und die „Schurken“, und natürlich sind wir, die zivilisierten und aufgeklärten Bürger, selbstverständlich immer auf der Seite des Lichts, der moralischen Reinheit und der Tugend.
Doch diese infantile Schwarz-Weiß-Denke ist nicht nur beleidigend für den gesunden Menschenverstand, sondern auch zutiefst gefährlich. Sie verkleinert die Komplexität der Welt und verwandelt jede tiefgründige, differenzierte Debatte in ein groteskes Ping-Pong-Spiel der Moralpredigten. Man muss nicht mehr argumentieren, man muss nur noch die richtigen Begriffe droppen: „Klima“, „Gerechtigkeit“, „Rassismus“, „Diversität“. Und schon ist die Welt erklärt, die Position bezogen, die Diskussion beendet. Alles, was darüber hinausgeht, gilt als Ketzerei.
Politik für Dummies: Wie der Bürger zum unmündigen Kind degradiert wird
Doch es bleibt nicht bei der Verkindlichung der Debatte. Auch die Art und Weise, wie politische Entscheidungen kommuniziert und durchgesetzt werden, folgt zunehmend einem Muster, das an die Erziehung von Kleinkindern erinnert. Was wir heute erleben, ist die vollständige Bevormundung des Bürgers. Wir sollen nicht länger selbst denken, sondern gehorchen. Wer hinterfragt, wird nicht etwa als kritischer Geist wahrgenommen, sondern als störrisches Kind, das nicht versteht, was gut für es ist. „Papa Staat weiß es besser“ – diese unterschwellige Botschaft durchdringt jeden Winkel des politischen Lebens.
Der mündige Bürger, das einstige Ideal der Aufklärung, wurde durch den gläubigen Konsumenten ersetzt, der brav das politisch korrekte Mantra aufsagt und alle Abweichler mit Argusaugen beobachtet. Es ist eine traurige Ironie, dass gerade in einer Zeit, die sich so sehr auf Individualität und Selbstbestimmung beruft, der Einzelne in einem moralischen Kollektivismus erstickt wird, der jeden freien Gedanken im Keim erstickt.
Der Rückfall ins Vorfeld der Pubertät
Und hier kommen wir zum eigentlichen Höhepunkt dieser infantilen Tragikomödie: dem Phänomen der Wokeness. Man könnte meinen, die postmoderne Welt habe sich in eine Art vorpubertären Zustand zurückentwickelt, in dem jedes „falsche“ Wort, jeder „unangemessene“ Gedanke zu einem Skandal von epischen Ausmaßen stilisiert wird. Es ist, als ob wir es mit einer Generation von Moralaposteln zu tun hätten, die an einer kollektiven Identitätsstörung leiden – unfähig, mit Widerspruch oder gar Ironie umzugehen.
Woke ist nichts anderes als das neue Fegefeuer. Wer nicht mitmacht, wird exkommuniziert. Die öffentliche Zensur durch gesellschaftlichen Druck und die allgegenwärtige Angst, etwas „Unkorrektes“ zu sagen, haben die freie Meinungsäußerung de facto abgeschafft. Es gibt keine Diskussionen mehr, sondern nur noch Bekennertum. Wer nicht die richtige Gesinnung zeigt, wird gebrandmarkt und ausgegrenzt. Wir haben es mit einer Rückkehr der Inquisition zu tun, nur dass die Scheiterhaufen heute digital und virtuell brennen.
Der Kindergartenstaat
Es ist nicht nur die Rhetorik und das Verhalten der Mächtigen, die uns an den Rand des Wahnsinns treiben. Auch der Bildungssektor, einst die Bastion der Aufklärung, ist zum Spielplatz für ideologische Experimente geworden. Anstatt Schüler und Studenten zu kritischen Denkern zu erziehen, die sich durch Argumentation und Wissen auszeichnen, wird eine Generation von Ja-Sagern herangezogen, die brav die Liturgie der korrekten Haltung nachplappern.
Es ist ein Prozess der vollständigen Infantilisation: Anstatt selbstbewusste und eigenständige Menschen heranzubilden, werden zukünftige Bürger zu abhängigen, unkritischen Konsumenten von vorgefertigten Meinungen gemacht. Der Staat, die Medien und das Bildungssystem arbeiten Hand in Hand, um die Gesellschaft in einen permanenten Zustand der intellektuellen Kindheit zu versetzen, in dem Widerspruch und Kritik nicht nur unerwünscht, sondern gefährlich sind.
Schlussfolgerung: Die Rückkehr der Vernunft – Utopie oder Notwendigkeit?
Man muss sich fragen: Wohin führt uns dieser Weg? Ist die Infantilisierung der Politik und der Gesellschaft ein vorübergehendes Phänomen, eine Laune der Geschichte, die irgendwann wieder verschwindet? Oder stehen wir am Anfang einer neuen Ära der geistigen Unreife, in der der mündige Bürger endgültig zum willfährigen Untertan degradiert wird?
Die Antwort darauf liegt bei uns allen. Solange wir uns nicht auf unsere eigene Urteilsfähigkeit besinnen, solange wir nicht den Mut haben, den kindischen Diskurs zu verlassen und die Komplexität der Welt anzuerkennen, wird sich nichts ändern. Die Demokratie lebt vom Widerspruch, von der Auseinandersetzung und vom freien, kritischen Denken. Alles andere ist nichts als eine intellektuelle Sandburg, die beim ersten Sturm der Realität in sich zusammenfallen wird.
Wir müssen den Mut haben, das trottelhafte Spiel der Mächtigen zu durchschauen und zu hinterfragen. Nur dann haben wir die Chance, die schleichende Infantilisation zu stoppen und wieder zu einer Politik und Gesellschaft zurückzukehren, die auf Vernunft, Verantwortung und Respekt basiert – für uns selbst und für die Wahrheit.
Weiterführende Quellen und Links:
- Orwell, George: 1984 – Ein dystopisches Werk über die Manipulation von Sprache und Gedanken, das erschreckend aktuell ist.
- Postman, Neil: Wir amüsieren uns zu Tode – Eine brillante Analyse der Verkindlichung der Öffentlichkeit durch die Massenmedien.
- Illich, Ivan: Entschulung der Gesellschaft – Ein radikaler Ansatz zur Bildungskritik, der den Ursprung vieler heutiger Probleme im Bildungssystem erahnen lässt.
- Artikelserie „Die neue Woke-Kultur“ in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung – Kritische Auseinandersetzungen mit dem Phänomen der Wokeness.
- Link zur Zensur-Debatte: Artikel zur Meinungsfreiheit – Eine detaillierte Untersuchung über die Auswirkungen von gesellschaftlichem Druck auf die freie Meinungsäußerung.