EUPHEMISMUS-TRETMÜHLE

EIN UNDURCHSICHTIGER TANZ DER BEGRIFFE

In der Politik, im öffentlichen Diskurs und in den Medien gibt es ein ständiges Spiel mit Wörtern und Begriffen, das wir als Euphemismus-Tretmühle bezeichnen können. Diese Tretmühle beschreibt die fortwährende Veränderung von Begriffen, um negative Konnotationen abzuschwächen oder zu verschleiern. Besonders deutlich wird dieses Phänomen bei der Diskussion über Migration und Flüchtlinge. Die kontinuierliche Ersetzung von Begriffen wie „Ausländer“ oder „Flüchtling“ durch neutralere oder positivere Umschreibungen offenbart viel über unsere Haltung gegenüber diesen Themen und über die Macht der Sprache in politischen Kontexten.

Die Wortwächter der Tretmühle

In der Anfangszeit der Einwanderung war der Begriff „Ausländer“ weit verbreitet. Er war der neutrale Begriff für Personen, die aus anderen Ländern stammten. Doch mit der Zeit wurde dieser Begriff zunehmend als negativ konnotiert empfunden, da er mit Fremdheit und Distanz assoziiert wurde. Die Euphemismus-Tretmühle setzte ein: „Ausländer“ wurde durch „Personen mit Migrationshintergrund“ ersetzt. Dieser neue Begriff sollte neutraler wirken und die Integration dieser Personen in die Gesellschaft betonen.

Jedoch hielt die Neutralität nicht lange an. Der Begriff „Migrationshintergrund“ begann, die Vorstellung zu verstärken, dass jemand nicht ganz „zu uns“ gehört, selbst wenn das nicht beabsichtigt war. Folglich suchte man nach weiteren Begriffen, um diesen Eindruck zu vermeiden. „Migrationsgeschichte“ trat auf die Bühne, um die Vorstellung zu vermitteln, dass Migration eine Geschichte oder eine Erzählung darstellt, die Teil einer größeren Erzählung ist und nicht nur eine isolierte Eigenschaft des Einzelnen.

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Der Begriff „humanitärer Migrant“ versuchte, positive Eigenschaften wie Hilfe und Unterstützung hervorzuheben. Doch auch hier stellte sich bald heraus, dass diese Bezeichnung nicht die gewünschte Wirkung erzielte, da sie immer noch eine klare Trennung zwischen „uns“ und „den anderen“ implizierte.

Vom „Flüchtling“ zum „Schutzsuchenden“

Ein besonders anschauliches Beispiel für die Euphemismus-Tretmühle ist die Terminologie rund um Flüchtlinge. Der Begriff „Flüchtling“ hatte lange Zeit eine klare Bedeutung: eine Person, die aus einem Land geflohen ist, um sich vor Verfolgung oder Gefahr zu schützen. Dieser Begriff war jedoch schnell dem Druck ausgesetzt, der mit der Wahrnehmung und dem öffentlichen Diskurs einherging.

Flüchtling“ wurde von verschiedenen politischen und gesellschaftlichen Akteuren als belastend und negativ wahrgenommen. Die Tretmühle setzte sich in Bewegung und ersetzte „Flüchtling“ durch „Schutzsuchender“. Dieser Begriff sollte die proaktive Handlung des Schutzsuchens hervorheben und weniger die passive Rolle des Flüchtlings betonen. Doch auch „Schutzsuchender“ stellte sich bald als unzureichend heraus, da er in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit mit Bürokratie und Komplikationen in Verbindung gebracht wurde.

Die Probleme der Euphemismus-Tretmühle

Die Euphemismus-Tretmühle hat mehrere problematische Auswirkungen auf die gesellschaftliche Debatte:

Verschleierung der Realität: Durch die kontinuierliche Änderung von Begriffen wird die Realität der zugrunde liegenden Probleme verschleiert. Der ursprüngliche Begriff, wie „Flüchtling“, hatte eine klare Bedeutung und vermittelte unmittelbare Dringlichkeit. Neue Begriffe wie „Schutzsuchender“ können diese Dringlichkeit mildern und damit die öffentliche Wahrnehmung beeinflussen.

Stigmatisierung und Isolation: Auch wenn neue Begriffe neutrale oder positive Konnotationen haben sollen, können sie unbeabsichtigt Stigmatisierung oder Isolation verstärken. „Personen mit Migrationshintergrund“ kann dazu führen, dass Individuen als „anders“ wahrgenommen werden, was Integration erschwert.

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Politische Instrumentalisierung: Die Tretmühle wird von politischen Akteuren genutzt, um bestimmte Agenden voranzutreiben oder abzulenken. Die ständige Veränderung der Begriffe kann genutzt werden, um gesellschaftliche Probleme zu verharmlosen oder politische Maßnahmen zu verschleiern.

Erosion des Diskurses: Ein weiterer Effekt ist die Erosion des öffentlichen Diskurses. Wenn Begriffe ständig verändert werden, wird es schwierig, klare und fundierte Diskussionen zu führen. Die Bedeutung und Tragweite der Begriffe werden verwässert, was zu Missverständnissen und einer fragmentierten Debatte führen kann.

Ein Ausblick: Wege aus der Tretmühle

Die Euphemismus-Tretmühle offenbart ein grundlegendes Problem in der Art und Weise, wie wir mit gesellschaftlichen und politischen Fragen umgehen. Um diesem Phänomen zu begegnen, ist es notwendig, klare und präzise Sprache zu fördern und sich bewusst zu machen, wie Sprache unsere Wahrnehmung und unser Verständnis von Themen beeinflusst.

Eine Lösung könnte darin bestehen, weniger auf Euphemismen zu setzen und stattdessen auf transparente und ehrliche Kommunikation zu setzen. Dies würde es ermöglichen, die zugrunde liegenden Probleme klar zu benennen und zu adressieren, ohne sie durch ständige Begriffswandel zu verschleiern.

Die Herausforderung der Klarheit

Der ständige Wechsel der Begriffe hat weitreichende Auswirkungen auf unsere Wahrnehmung und das Verständnis von Migration und Flüchtlingsfragen. Es liegt an uns, diese Herausforderung anzunehmen und für Klarheit und Ehrlichkeit in der Sprache zu kämpfen, um eine fundierte und effektive Diskussion über gesellschaftliche Probleme zu ermöglichen.

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