Eine kafkaeske Metamorphose

Eine kafkaeske Metamorphose oder: Wie ich meine moralische Unschuld verlor

Es war ein ganz gewöhnlicher Morgen, wie jeder andere. Das Rauschen des Wasserkochers, das knisternde Radio, das die immer gleichen Ökothemen wiederkäute. Plastikmeere, schmelzende Gletscher, Veggie-Day.

Und da war ich: treuer Anhänger der linksgrünen Orthodoxie, bestens vertraut mit den Tugenden moralischer Überlegenheit. Wie alle guten Menschen war ich fest davon überzeugt, dass mein Herz auf der richtigen Seite schlug. Doch irgendetwas war an diesem Tag anders. Vielleicht war es das Wetter, vielleicht der Kaffeeduft. Oder war es die innere Stimme, die sich durch die zahllosen Lagen meiner Ideologie bohrte wie ein hartnäckiger Bohrwurm? „Darf man das noch denken?“, fragte ich mich beim Anblick der Tageszeitung. Eine Frage, die bislang tabu war.

Und dann – es muss kurz vor dem zweiten Espresso gewesen sein – passierte es: Ich hielt inne und spürte, dass ich meine moralische Unschuld verloren hatte. Noch nie hatte ich mich so verdorben gefühlt, so abtrünnig. Ich, der einst die Regenbogenflagge hochhielt, empfand plötzlich einen unheimlichen Reiz am Gedanken, Dinge auszusprechen, die mich gestern noch in den digitalen Pranger der sozialen Netzwerke gebracht hätten. Ehe ich mich versah, war ich ein Nazi. So schnell ging das.

EIN GEDANKE ZU VIEL

Was war geschehen? Ich hatte mir erlaubt, nachzudenken. Nicht dass ich das in meiner früheren linksgrünen Existenz nicht getan hätte – doch dieser Gedanke war anders. Er war kein willfähriger Diener des moralischen Imperativs, sondern ein autonomes Ungetüm, das nach Freiheit schrie. Es ging um so etwas Banales wie Migration. Ein winziger Zweifel blitzte auf, kaum der Rede wert: „Ist es möglich, dass die derzeitige Politik in einigen Punkten unklug ist?“ Eine Frage, die im ersten Moment noch harmlos erschien, fast wie ein Scherz. Doch die Saat des Zweifels war gesät. Ich hätte diesen Gedanken im Keim ersticken sollen. Aber ich tat es nicht. Und das war mein Fehler.

Es dauerte nicht lange, bis die Folgen meines geistigen Verrats mich überwältigten. In den Augen meiner früheren Genossen war ich ein gefallener Engel, ein reaktionärer Ketzer, der es wagte, die heiligen Schriften des Fortschritts zu hinterfragen. Ich war von der Gnade abgefallen und plötzlich befand ich mich auf der dunklen Seite der Macht – nicht als ein verirrter Abweichler, sondern als etwas viel Schlimmeres: als Nazi.

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Der Teufel trägt keine Springerstiefel

Das Schlimmste daran? Es fühlte sich erstaunlich gut an. Die Leichtigkeit, mit der ich meine eigene Heiligkeit über Bord warf, war beängstigend. Anstelle der üblichen Schuldgefühle – der Urnebel des linken Gewissens – durchströmte mich eine merkwürdige Art von Freiheit. Ich begann, Dinge zu sagen, die man nicht sagen durfte. Und es war wie ein Rausch.

Plötzlich waren die Dinge nicht mehr so eindeutig, nicht mehr schwarz und weiß, nicht mehr „wir gegen die Nazis“. Da war kein greller Gegensatz zwischen Gut und Böse mehr, keine moralische Kategorisierung der Menschen in Opfer und Täter. Stattdessen öffnete sich ein Raum voller Fragen, voller grauer Zonen und unangenehmer Ambivalenzen. Was bedeutete das alles? War ich wirklich ein Nazi, weil ich es wagte, den Kurs der Regierung in Frage zu stellen? Waren all die Menschen, die für die AfD stimmten, wirklich nur fremdenfeindliche Barbaren? Und wenn ja, wie konnte es sein, dass ihre Argumente gelegentlich einen Sinn ergaben?

Hier begann der eigentliche Verfall. Die Verlockungen des Bösen waren subtil. Es gab keine springerstiefeltragenden Schläger, die an meine Tür klopften und mich zwangen, „Heil Hitler“ zu rufen. Stattdessen kam die Dunkelheit in Form leiser Zweifel und harmloser Fragen. Die Gefahr, so erkannte ich, lag nicht im offenen Hass, sondern im allmählichen Verfall des Denkens.

Die Läuterung: Aus der Gosse der Gedanken zurück ins Licht

Nach einigen Wochen des gedanklichen Exils kam der große Zusammenbruch. Es passierte auf einer Party, wo ich in einem unbeobachteten Moment mit einem Glas Rotwein in der Hand plötzlich bekannte, dass ich die AfD nicht mehr für das Böse in Person hielt. Ich weiß bis heute nicht, wie es dazu kam – vielleicht war es das billige Discounter-Weinchen oder einfach die schiere Verzweiflung über die allgegenwärtige Selbstgerechtigkeit meiner Bekannten. Ein Raunen ging durch den Raum, Gläser fielen zu Boden. Ich hatte es ausgesprochen: eine Blasphemie! Mein sozialer Suizid war in dem Moment besiegelt.

Nach dieser Nacht gab es kein Zurück mehr. Meine linksgrüne Familie warf mich aus dem Paradies der moralischen Integrität hinaus, und die Türen schlugen mit einem verurteilenden Knall zu. Ich stand nun draußen in der Kälte, umgeben von Menschen, die mir gestern noch verhasst gewesen wären, heute aber irgendwie… menschlich wirkten. Die vermeintlichen Ungeheuer der politischen Rechten entpuppten sich als nichts weiter als verunsicherte Bürger, die ähnliche Ängste und Hoffnungen hatten wie ich – allerdings ohne die rot-grüne Ideologiebrille.

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Das Erwachen: Die seltsame Erleichterung, das Böse gewählt zu haben

Irgendwann stellte ich fest, dass ich nun tun konnte, was ich immer vermieden hatte: Die „bösen“ Argumente unvoreingenommen anhören. Natürlich war nicht alles gut. Es gab die Abgründe, die harten Kanten, die widerlichen Figuren, die mit erhobenem Arm durchs Internet marschierten. Aber da war auch etwas anderes: eine Diskussion, die ich in meinem linksgrünen Mikrokosmos nie geführt hatte. Eine Diskussion über Freiheit, über Staat, über Identität und Zugehörigkeit.

Am Ende, nach einem langen Prozess der inneren Verhandlung, fand ich mich bei der Wahlkabine wieder. Und, ja, ich tat es. Ich wählte AfD. Der Schock fuhr mir durch die Glieder. Die Welt wankte. Doch zugleich durchströmte mich eine seltsame Erleichterung. Nicht, weil ich plötzlich die Partei inbrünstig unterstützte, sondern weil ich die Freiheit zurückgewonnen hatte, wählen zu können, ohne moralische Selbstkasteiung.

Die Rückkehr ins Leben: Ein neuer Weg durch die politische Wildnis

Nun stehe ich hier, außerhalb der Filterblase, ohne moralische Krücken und ideologische Fahnen. Die Welt sieht anders aus. Nicht besser, nicht schlechter – nur komplizierter. Der Kampf zwischen Gut und Böse, zwischen „uns“ und „den Nazis“, hat sich in seiner Simplizität aufgelöst. Vielleicht war es naiv zu glauben, dass die Realität so leicht in Schubladen zu packen ist. Heute weiß ich, dass sie das nicht ist. Und doch, was bleibt, ist die Erkenntnis, dass ich kein Nazi bin. Vielleicht ist das die größte Erkenntnis von allen: Man kann anders denken, ohne das Böse zu verkörpern. Man kann zweifeln, ohne zu fallen.

Aber die Frage bleibt: Wie konnte es soweit kommen? Die Antwort ist einfach. In einer Welt, in der die politische Korrektheit als absolute Wahrheit gilt, ist der freie Gedanke der größte Feind. Doch was bleibt, wenn das Denken verboten wird?

Quellenangaben, Verweise und weiterführende Links:

  1. George Orwell, 1984 – Ein Klassiker der totalitären Systeme, der aufzeigt, wie Gedanken kontrolliert werden können.
  2. Jonathan Haidt, The Righteous Mind – Warum gute Menschen durch Politik und Religion entzweit werden. Ein tiefgehender Einblick in die moralische Psychologie.
  3. Douglas Murray, The Madness of CrowdsGender, Rasse und Identität. Eine kritische Auseinandersetzung mit dem modernen Diskurs.
  4. Der Spiegel: „Das Framing-Dilemma der Linken“ – Ein Artikel über die Strategien und Fehler der politischen Linken im Umgang mit Kritik.
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