Eine Farce auf Leben und Tod
Wie das IV. Reich mit dem Rollator zur Macht rollt
Manchmal wünscht man sich, die Realität wäre ein schlechter Witz. Doch in einem Land, in dem die Bierkrüge größer als das Vertrauen in den Staat sind, nimmt die Groteske unheimliche Züge an. Man stelle sich vor: Im Schatten der verregneten Nachkriegsjahrzehnte, zwischen Schrebergärten und Seniorennachmittagen, braut sich eine Revolution zusammen. Nicht etwa durch dynamische, ideengetriebene Jugendbewegungen – nein, diesmal kommt der Umsturz auf den wackeligen Beinen der deutschen Rentnerschaft daher, bewaffnet mit dem Rollator und der Bundesadler-Symbolik von vorgestern.
Was wie eine Szene aus einem Kabarettabend in den düstersten Kneipen Berlins klingt, wurde am 6. Dezember 2022 zur schaurigen Realität. An diesem Tag erwachte Deutschland mit einem Schlag aus seinem postdemokratischen Halbschlaf. Eine großangelegte Anti-Terror-Razzia, quer durch die Republik und sogar im Ausland, förderte ein Bündnis zutage, das so altbacken wie ihre Protagonisten selbst war: Ein geplantes Putschversuch, angeführt von einer illustren Gruppe, die in ihrer Blase der Entfremdung eine neue Ordnung herbeiführen wollte – das IV. Reich.
Doch bevor man nun allzu ernsthaft darüber nachdenkt, was diese Möchtegern-Reichsgründung für das politische System bedeutet, lohnt sich ein Blick auf die Akteure. Denn dieser vermeintliche Rentnerputsch, wie er inzwischen in den Medien genannt wird, ist nicht nur eine Gefahr für den Staat, sondern vor allem eine Farce epischen Ausmaßes.
Der Kaiser in der Kompressionstrumpfhose
In den Hauptrollen dieses Stücks der politischen Satire findet sich niemand Geringeres als Heinrich XIII. Prinz Reuß. Ein Name, der auf den ersten Blick klingt wie die Träume eines Nostalgikers, der bei der Nationalhymne noch „Deutschland, Deutschland über alles“ singt. Doch Heinrich XIII. hat offenbar nie aufgehört, an die längst verblassten Fabeln von Monarchie und deutschem Großreich zu glauben. Und während andere Blaublüter sich mit Charity-Galas und Luxushotels begnügen, bastelt unser Prinz an nichts Geringerem als einem neuen deutschen Staat. Natürlich mit ihm selbst als Staatsoberhaupt – wer denn sonst?
Dieser „Staatsmann in spe“ präsentierte sich der Öffentlichkeit vor allem als eine Mischung aus tragikomischem Monarchisten und liebenswert verwirrtem Großvater. Seine Beteiligung an obskuren Firmenkonstrukten, fragwürdigen Netzwerken und das Sammeln von Oldtimern ließen ihn bisher nicht weiter als eine Randfigur der deutschen Exzentrik erscheinen. Doch offenbar hatte er höhere Ambitionen, die weit über den Erwerb von Rolls-Royce-Karossen hinausgingen. Vielleicht war es der Plan, seine Kaffeekränzchen im Schloss gleich zum Kabinettssitzungen zu erheben. Die Ernennung von Ex-Richterinnen und pensionierten Offizieren als Ministerkandidaten deutet jedenfalls darauf hin.
Birgit und der Traum vom Richterstuhl im Rentenpalast
Ein Staat braucht eine starke Justiz, und wer wäre da besser geeignet als eine pensionierte Richterin mit einer politischen Vergangenheit in der AfD? Birgit Malsack-Winkemann, einst ehrenwert im Bundestag, hätte in dieser neuen Ordnung über Recht und Ordnung gewacht – oder das, was in der Putschistenblase dafür durchgehen sollte. Mit ihrem Lebenslauf als langjährige Juristin hätte sie sich wohl gut geeignet gefühlt, den Kurs in dieser „verwirrten Republik“ zu setzen, die sich offenbar aus den Resten einer längst untergegangenen Weltordnung zusammensetzen sollte.
Doch was wäre ein Justizministerium ohne die passenden Fälle? Vielleicht hätte sie die anstehenden Klagen gegen Rollator-Raser auf dem Alexanderplatz in Berlin bearbeitet. Oder die Verfolgung von Rentner-Revoluzzern, die nach dem dritten Schoppen „die alte Ordnung“ heraufbeschwören. Ein Trauerspiel in zwei Akten, doch die Eintrittskarten waren bereits vergriffen.
Der Traum vom militärischen Rollbataillon
Wohlgemerkt: Ein Rentnerputsch kommt nicht ohne militärische Unterstützung aus. Wie es sich für einen Staat im Aufbruch gehört, hatte das IV. Reich bereits begonnen, ein Netzwerk von militärisch organisierten Verbänden aufzubauen – stolze 286 „Heimatschutzkompanien“. Man stelle sich das Bild vor: Ehemalige Offiziere des Kommandos Spezialkräfte (KSK), die ihre besten Tage hinter sich haben, nun in Tarnuniform mit orthopädischen Einlagen und Gehhilfen ausgestattet. Sie hätten den Aufstand bewaffnet durchsetzen sollen – ein Bild von fast schon apokalyptischer Komik.
Mit dem militärischen Teil der Gruppe beschäftigt sich nun das Oberlandesgericht Stuttgart. Es bleibt zu hoffen, dass es weniger um den Einsatz von Sturmgewehren und mehr um die Gefahren für die Hüftgelenke der Beteiligten geht. Doch in aller Ernsthaftigkeit: Dass ehemalige Soldaten und Polizisten bereit waren, ihr Leben für diesen Wahn aufs Spiel zu setzen, ist nicht weniger erschreckend als das Trauerspiel ihrer politischen Naivität.
Rentner vs. Rechtsstaat
700 Polizisten – das ist die Zahl, die nötig war, um diese Rentner-Revolte zu zerschlagen. Schweres Gerät, Kampfmittelräumdienste, Spezialeinheiten: Man hätte fast meinen können, man sei inmitten eines hollywoodreifen Actionfilms, bei dem die feindlichen Truppen schon bereitstehen, den letzten Angriff zu wagen. Doch nein, es war nur eine Razzia gegen Reichsbürger und andere verlorene Seelen, die von einer besseren, einfacheren Welt träumen.
Der letzte Akt des Rentnerputschs ist jedoch kein großes Finale, sondern eher eine Farce, die ihre eigenen Widersprüche aufzeigt. Eine Gruppe, die sich auf alten Ideologien und realitätsfernen Wunschvorstellungen aufbaut, wurde innerhalb weniger Monate von den Behörden gestoppt. Und während die Prozesse gegen die Hauptbeschuldigten an den Oberlandesgerichten Frankfurt, Stuttgart und München beginnen, bleibt uns als Gesellschaft eine wichtige Erkenntnis: Der Rollator ist nicht die geeignete Waffe für einen Umsturz.
Der IV. Rentner-Reich
Was bleibt, ist der Nachgeschmack einer politischen Posse, die sich zwischen Wahnsinn und Lächerlichkeit bewegt. Der „Rentnerputsch“ ist weniger ein ernsthaftes Aufbäumen gegen das politische System als vielmehr ein Symptom einer alternden, entwurzelten Gesellschaft, die in ihren Erinnerungen an eine vermeintlich „bessere Zeit“ lebt. Sie ist unfähig, sich der Gegenwart zu stellen, und greift stattdessen auf bizarre Fantasien zurück, die irgendwo zwischen Kaiserreich und Kaltem Krieg stagnieren.
Das IV. Reich kommt also nicht mit Panzern und Sturmgewehren. Es kommt mit Rollatoren und Prothesen, begleitet von einer verblassten Erinnerung an ein Land, das so nie existiert hat. Und während wir darüber lachen – und das sollten wir unbedingt –, dürfen wir den Ernst der Lage nicht verkennen. Denn der Weg von der Groteske zur Gewalt ist manchmal erschreckend kurz.