Eine Euphorie der Beliebigkeit
Wollen wir das?
Katrin Göring-Eckardt, ihres Zeichens Grüne Frontfrau und notorische Euphorikerin des gesellschaftlichen Umbruchs, hat es gesagt. In einem Moment, der wohl als Gipfel der linksprogressiven Ekstase gelten darf, sprach sie von einer Vision für Deutschland, die man im Lager der Realisten vermutlich als „entsetzlichen Albtraum“ bezeichnen würde: „Unser Land wird sich ändern, und zwar drastisch. Und ich freue mich darauf!“ Nun ja, wir wissen nicht, ob sie es tatsächlich so meinte, oder ob ihr während der Rede ein kleines Teufelchen ins Ohr flüsterte. Sicher ist jedoch: Die Jubelschreie der bunt-glitzernden Utopistenhallig blieben nicht aus.
Es wird „jünger, bunter und auch religiöser“, heißt es da, fast so, als würde man über das Design einer neuen hippen Handtasche reden, die jetzt einfach viel mehr Farbe braucht. Doch was bedeutet das? Wollen wir wirklich ein Land, das sich drastisch verändert? Haben die „schon länger hier Lebenden“ eigentlich überhaupt eine Wahl? Oder werden sie schlichtweg als Fußnoten des „neuen Deutschlands“ beiseitegeschoben, während man im polit-medialen Paralleluniversum die nächste Einladung zur Diversity-Party verschickt?
Die Vorstellung, dass sich ein Land so „drastisch“ verändern soll, könnte einigen Menschen vielleicht den ein oder anderen Angstschweiß auf die Stirn treiben – schließlich bedeutet „drastisch“ oft nichts anderes als: „Ihr werdet es nicht wiedererkennen.“ Aber keine Sorge, beruhigen uns die Visionäre, wir bekommen dafür ein „buntes“ und „jüngeres“ Deutschland. Hurra! Das wird großartig, solange man Farbenblindheit und die schleichende Überforderung ignorieren kann.
Ein Land ohne Besitzanspruch
Doch wer jetzt denkt, die katrin’schen Gedankenblasen seien schon die Spitze der intellektuellen Sprühkraft, der sei auf das Folgende vorbereitet. Çigdem Akkaya, ehemalige stellvertretende Direktorin des Zentrums für Türkeistudien, gibt dem Ganzen noch einen kräftigen Spritzer ideologischen Essigs: „Die Leute werden endlich Abschied nehmen von der Illusion, Deutschland gehöre den Deutschen.“ Eine wahrhaft erleuchtete Feststellung – gewissermaßen das neue Mantra der Dekonstruktion. Deutschland, liebe Landsleute, gehört nämlich nicht uns, nein! Es gehört der Welt. Oder noch besser: es gehört niemandem! Jeder darf mitmachen, alles darf alles sein, und überhaupt ist Nationalstaatlichkeit eh sowas von letztes Jahrhundert. Was für eine absurde Vorstellung, dass Menschen, die hier geboren wurden, deren Familien über Generationen in diesem Land gelebt haben, denken könnten, es gehöre ihnen.
Man stelle sich vor, ein ähnliches Statement würde in irgendeinem anderen Land fallen. Vielleicht in Frankreich? Oder Polen? „Frankreich gehört nicht den Franzosen.“ Man sieht förmlich, wie den Parisern der Café au Lait aus der Hand kippt. Doch in Deutschland? Da scheint diese Idee merkwürdig salonfähig. Man hat fast den Eindruck, der neue nationale Zeitgeist bestünde aus nichts weiter als einem Akt des fröhlichen Verzichts. Wir haben schließlich lange genug „Deutschland gehört den Deutschen“ gesagt. Jetzt wollen wir mal was anderes probieren.
Doch was bedeutet das in der Realität? Wollen wir wirklich die schleichende Auflösung des Eigenen, des Besonderen, des Nationalen, nur um in einem trügerischen Gefühl der Weltoffenheit zu baden? Oder handelt es sich hierbei schlichtweg um eine besonders perfide Form der Selbstverleugnung, in der die Zukunft des Landes als eine postnationale Multikulti-Parade daherkommt, während die alten Werte wie ausrangierte Möbelstücke auf den Sperrmüll der Geschichte gekarrt werden?
Die drastische Veränderung
Die große Freude über den kommenden Wandel, die „drastische Veränderung“, wie Frau Göring-Eckardt sie nennt, könnte uns bald einholen – und dann vielleicht nicht ganz so angenehm, wie es die Verfechter dieser neuen Utopie erhoffen. Der Wandel, der heraufbeschworen wird, ist in der Theorie bunt, multikulturell und voller Lebensfreude. Doch in der Praxis könnte er zu sozialer Fragmentierung, Parallelgesellschaften und einem eklatanten Verlust des Gemeinsinns führen. Fragen wir uns doch einmal ernsthaft: Wollen wir wirklich eine Gesellschaft, in der das Gefühl für das Gemeinsame, das Verbindende, zusehends verschwindet? Wo die Spaltung zwischen „uns“ und „den anderen“ sich nicht mehr an Landesgrenzen, sondern an Identitäten vollzieht?
Die Vision, dass Deutschland jünger, bunter und religiöser wird, ist keine automatisch positive Entwicklung. Besonders der letzte Punkt, die wachsende Rolle der Religion, birgt in einem Land, das stolz auf seine Säkularität ist, auch enorme Risiken. Werden wir in Zukunft über die Rückkehr von Religionskonflikten sprechen? Oder über eine Gesellschaft, die sich wieder mehr an dogmatischen Regeln orientiert? Ironischerweise wünschen sich viele der Menschen, die aus religiös autoritären Gesellschaften geflüchtet sind, genau das Gegenteil: Freiheit, Säkularität und Individualität. Doch ausgerechnet die jubelnden Repräsentanten des bunten Deutschlands scheinen eine Renaissance des Religiösen zu begrüßen.
Ein Fazit der satirischen Melancholie
Es ist nicht schwer, sich die Frage zu stellen: Wollen wir das wirklich? Wollen wir ein Land, in dem der Besitzanspruch der Einheimischen nicht mehr existent ist? Ein Land, das seine Identität dem Altar einer grenzenlosen Offenheit opfert, in der jeder alles und niemand etwas ist? Wollen wir ein Deutschland, in dem der Wandel, den manche so drastisch herbeisehnen, am Ende eine Nation hinterlässt, die sich selbst nicht mehr erkennt?
Vielleicht liegt das Problem nicht in der Veränderung selbst, sondern in der blind-naiven Annahme, dass Veränderung immer besser sei als das Bestehende. Doch die Geschichte lehrt uns, dass es nicht die Veränderung um der Veränderung willen ist, die den Fortschritt bringt, sondern die sorgsame Bewahrung dessen, was gut ist, und die durchdachte Verbesserung dessen, was besser sein könnte. Veränderung ohne Reflexion ist Chaos. Veränderung ohne Respekt für das, was bereits besteht, ist Zerstörung.
Vielleicht sollten wir aufhören, von einer „drastischen“ Veränderung zu träumen, und stattdessen fragen: Was sind wir bereit zu verlieren, wenn der Wandel kommt? Denn eines ist klar: Wenn die Tore einmal weit offenstehen, lässt sich nicht alles wieder rückgängig machen.
Quellen und weiterführende Links:
- Göring-Eckardt, K. (2020). „Unser Land wird sich ändern, und ich freue mich darauf!“ [Rede im Bundestag]. Verfügbar auf: Bundestag.de
- Akkaya, Ç. (2021). „Die Leute werden endlich Abschied nehmen von der Illusion, Deutschland gehöre den Deutschen“. Zitiert in zahlreichen Medien, darunter [Facebook und Twitter].
- Zukunftsforschung: Welche Auswirkungen hat Migration auf die Gesellschaft? Der Spiegel
- Debatten über Multikulturalismus in Europa: Ein Blick auf die politischen Implikationen. Die Zeit