Ein Synonym für familiäre Harmonie

Clans in den Städten: Hochkriminell, aber ohne Clankriminalität

Worte sind mächtige Waffen. Sie können Schlachten entscheiden, Kriege auslösen und manchmal – ganz selten – die öffentliche Meinung verändern. Es ist daher besonders erstaunlich, wie feinsinnig und geradezu kunstvoll der Begriff „Clan“ in der deutschen Medien- und Politikwelt jongliert wird. Eine Präzisionsarbeit, die einem Chirurgen mit zittriger Hand und übermäßiger Empathie für seine Schnitte gleicht. Denn eines wissen wir sicher: Es gibt Clans in unseren Städten. Sie sind da, sie existieren, sie operieren. Aber wehe, man wagt es, von „Clankriminalität“ zu sprechen – das wäre ja stigmatisierend!

Wir bewegen uns also im semantischen Minenfeld. Während in den Kiezen dieser Nation „clanbasierte Familienbetriebe“ gedeihen, die vor wirtschaftlichem Eifer förmlich überlaufen, wird in den Debattensälen der Republik ein diskursiver Eiertanz vollzogen. Da wird geschwitzt, argumentiert, herumlaviert – und am Ende bleibt die Erkenntnis: Die bloße Existenz krimineller Clans ist nicht das Problem. Das wahre Verbrechen ist das Wort „Clankriminalität“. Denn Sprache ist Macht, und wo kämen wir hin, wenn wir uns erlaubten, Dinge beim Namen zu nennen?

Ein sprachliches Wunderwerk der Moderne

Betrachten wir die kriminellen Aktivitäten der Clans einmal nüchtern. Es gibt Schutzgelderpressungen, Drogenschmuggel, Menschenhandel und Geldwäsche. Das alles sind altbekannte Delikte, die über Jahrhunderte hinweg ihren festen Platz in den Chroniken der Kriminalität gefunden haben. Doch seit einigen Jahren haben wir es mit einem neuen Phänomen zu tun, das die Behörden vor eine nie dagewesene Herausforderung stellt: Kriminalität ohne Adjektiv.

Man stelle sich das vor: Hochkriminelle Strukturen, die es tatsächlich geschafft haben, sich von jeglicher beschreibenden Einordnung zu emanzipieren. „Clankriminalität“? Zu spezifisch! Zu belastend für jene ehrbaren Familien, die nur zufällig in Zusammenhang mit kriminellen Machenschaften stehen. „Organisierte Kriminalität“? Schon besser, aber auch hier schwingt ein unangenehmer Unterton mit, der vielleicht dazu führen könnte, dass sich Einzelne diskriminiert fühlen.

Der Wunsch der politisch Verantwortlichen, uns vor der Unanständigkeit der Wahrheit zu bewahren, hat daher zu einer erstaunlichen Sprachschöpfung geführt: Kriminalität ohne festem Kontext, ohne klares Subjekt, ohne greifbare Struktur. Die Verbrechen geschehen, ja. Aber wer sie begeht? Nun, das ist eine ganz andere Frage. Und es wäre wirklich unfair, hier vorschnelle Urteile zu fällen.

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Familienbetriebe mit Tradition

Es wäre jedoch ungerecht, die Clans nur als kriminelle Netzwerke zu beschreiben. Schließlich ist das „Clanbusiness“ oft ein regelrechtes Erfolgsmodell der Integration. Wer würde sich sonst um die Sicherstellung von Steuervermeidungstechniken kümmern oder den Drogenmarkt mit derartiger Effizienz und Professionalität regulieren? In einer globalisierten Welt, die von Monopolen und Konzernkartellen dominiert wird, setzen die Clans ein starkes Zeichen für Familienbetriebe, Hand in Hand mit einer jahrzehntelangen Tradition der Selbstständigkeit.

Der Erfolg dieser Modelle liegt in ihrer Langlebigkeit und der Fähigkeit, generationenübergreifend zu funktionieren. Ein Clan ist nicht nur eine kriminelle Vereinigung, er ist eine Gemeinschaft von Familien, die gemeinsam gedeihen – und das unter Bedingungen, die für gewöhnliche Unternehmen in derart kurzen Zeiträumen nicht zu schaffen wären. Während der Bäcker von nebenan unter der Last der deutschen Bürokratie zusammenbricht, florieren diese „Familienunternehmen“ in der Schattenwirtschaft. Selbstständigkeit ist hier das Schlüsselwort – und ein Begriff, den man in die Erfolgsgeschichten deutscher Immigrantengruppen einordnen könnte, wenn man nur nicht auf so unschöne Nebensächlichkeiten wie das Strafgesetzbuch achten würde.

Der Tanz der Unschuldigen im Kreis der Verantwortungslosigkeit

Aber wie sieht es auf der anderen Seite der Medaille aus? Wie gehen Staat und Gesellschaft mit diesen agilen Familienbetrieben um? Nun, die Polizei spricht unermüdlich von „Einzelfällen“, die Justiz verliert sich in der schieren Masse an „Komplexitäten“ und der Rest der Bevölkerung zuckt bloß mit den Schultern, während die Stammtischdiskussionen mit verschwörerischen Mutmaßungen über „den Staat“ enden, der ja angeblich sowieso nichts gegen diese Clans unternimmt.

Da ist etwas Wahres dran: Man könnte sich fragen, warum die Polizei angesichts der offensichtlichen kriminellen Aktivitäten nicht durchgreift. Doch die Antwort ist ebenso einfach wie erbarmungslos: Es handelt sich ja nicht um Clankriminalität! Die Verbrechen geschehen in einem Vakuum. Sie sind wie Regenwolken, die über der Stadt hängen und ihren Unheil vergießen, ohne dass man so genau wüsste, wer die Regenwolke eigentlich in Auftrag gegeben hat.

So bewegt sich die Polizei wie ein verzweifelter Tänzer in einem überfüllten Club. Sie will greifen, will fassen, will handeln – aber der Soundtrack des politisch korrekten Diskurses lässt sie im Takt verharren. Immerhin: Bei jeder Razzia, die angekündigt und artig medienwirksam inszeniert wird, bleibt das Wort „Clan“ peinlichst ungenannt. Ein gewaltiger Fortschritt im Kampf gegen die Verbrechen, die nicht benannt werden dürfen.

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Stigmatisierung durch Wahrheit

Und hier liegt der eigentliche Kern des Problems: das drohende Gespenst der „Stigmatisierung“. Wir leben schließlich in einer Gesellschaft, in der das Schlimmste, was einem Menschen passieren kann, nicht das Begehen eines Verbrechens ist, sondern die öffentliche Zuschreibung dieses Verbrechens an eine klar definierte Gruppe. Niemand will stigmatisieren. Denn die Stigmatisierung ist der letzte Schritt, bevor der gesellschaftliche Frieden zerbricht, bevor die Gruppenzugehörigkeit über das Individuum siegt. Es ist daher umso lobenswerter, dass sich die Politik entschieden hat, das Problem der Clankriminalität durch eine einfache, aber geniale Lösung zu lösen: Es gibt sie nicht.

Ein Hoch auf die politische Korrektheit! Sie erlaubt es uns, die Realität so zu biegen, dass sie in die moralischen Schablonen passt, die wir uns über Jahre hinweg gebastelt haben. Kriminalität darf nur dann Kriminalität genannt werden, wenn sie uns keine sozialen oder politischen Unannehmlichkeiten beschert. Clans? Das klingt doch schon viel zu vorbelastet. Sagen wir doch einfach: „kulturell geprägte Großfamilien mit erweiterter Erwerbstätigkeit.“

Eine Zukunft ohne Clankriminalität

Wo führt uns das alles hin? In eine wunderschöne, politisch korrekte Zukunft, in der Verbrechen selbstverständlich weitergeschehen – aber niemand mehr darüber spricht. Zumindest nicht in einer Weise, die jemanden beleidigen könnte. Wir können uns auf die Schulter klopfen: Es gibt Clans, es gibt Kriminalität, aber keine Clankriminalität. Eine brilliante rhetorische Meisterleistung, die nur in einer Gesellschaft möglich ist, in der das Benennen von Problemen gefährlicher erscheint als die Probleme selbst.

Vielleicht, nur vielleicht, könnte es hilfreich sein, ab und zu doch die Dinge beim Namen zu nennen. Aber wer braucht schon Ehrlichkeit, wenn man stattdessen durch die zynischen Schleier des Nicht-benennens segeln kann? Lasst uns weiterhin im politischen Ballett der Unverbindlichkeit tanzen. Denn eines ist klar: In einer Welt, in der Stigmatisierung schlimmer ist als Kriminalität, gibt es nichts Wichtigeres, als den schönen Schein zu wahren.


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