Ein postkoloniales Konstrukt
Die Welt brennt – und der Sicherheitsrat gießt Tee auf
Stellen Sie sich vor: Die Welt brennt. Syrien im Chaos, die Ukraine unter Beschuss, der Jemen im Ruinenstaub – und was macht der UN-Sicherheitsrat? Er gießt erst einmal Tee auf und setzt sich zu einer geselligen Runde zusammen. Natürlich mit Earl Grey für die Briten und Café au lait für die Franzosen, denn als ständige Mitglieder dieses erlesenen Clubs bleibt man traditionsbewusst, auch wenn die Welt um einen herum in Scherben liegt. Doch während andere Staaten, die unermüdlich diplomatische Feuerlöscharbeit betreiben, oft außen vor bleiben, sitzen London und Paris bequem auf ihren Sesseln und zelebrieren ihren Status als Großmächte von gestern, als wäre das Britische Empire nur einen Wimpernschlag entfernt.
Es ist ein merkwürdiges Konstrukt, dieser Sicherheitsrat – wie aus der Zeit gefallen. Man erwartet beinahe, dass sich Winston Churchill und Charles de Gaulle von den ledern gepolsterten Stühlen erheben, um, Zigarre in der Hand, wieder über das Schicksal der Welt zu entscheiden. Doch es sind ihre geistigen Nachfolger, die sich mit dem Vetorecht bewaffnet durch die internationalen Krisenlandschaften bewegen, als gehöre ihnen das Mandat für die Menschheit – während sie den Rückspiegel fest auf ihr koloniales Erbe gerichtet haben.
Postkolonialer Anachronismus
Ach, Großbritannien und Frankreich! Zwei Länder, die einst mehr Karten zeichneten, als Weltgeografie sie liefern konnte. Man denke nur an die Zeiten, als der Globus in London und Paris in hübsche Farbfelder eingeteilt wurde: Rot für das Empire, Blau für La France. Und dann der Zweite Weltkrieg, die verheerende Katastrophe, die diese beiden mächtigen Herrenhäuser erschütterte – aber nicht genug, um sie von der Macht abzusägen. Wie durch ein Wunder, oder vielleicht eher durch einen geschickten Tanz hinter den Kulissen, behielten beide Länder ihre Plätze im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Die Bretton-Woods-Konferenz mag das Wirtschaftsleben revolutioniert haben, aber die Besetzung des UN-Sicherheitsrates blieb wie in Stein gemeißelt.
Großbritannien, dessen kolonialer Einfluss nur noch in Touristenattraktionen wie dem Tower of London und den Fantasyromanen der Royals zu spüren ist, hält noch immer stolz die Fackel des Vetorechts hoch. Wofür genau? Man könnte argumentieren, dass ihre Machtpolitik jetzt eher dem verwirrten Herumirren eines alternden Imperiums gleicht, das sich weigert, seinen Platz am Tisch jüngerer und dynamischerer Akteure aufzugeben. Die britische Außenpolitik? Eher eine Mischung aus nostalgischer Verklärung und pragmatischer Selbstverleugnung. Die Zeiten, in denen Britannia die Wellen beherrschte, sind so vorbei wie die Ära der Pferdekutschen. Dennoch sitzt das Land im Sicherheitsrat, als wäre es immer noch das 19. Jahrhundert.
Und Frankreich? Das Land der Revolution, der Egalité, Liberté und Fraternité. Aber auch das Land, das Algerien bis in die 60er Jahre im Würgegriff hielt und sich nur widerwillig von seinen Kolonien verabschiedete. Die französische Außenpolitik ist eine interessante Mischung aus kulturellem Stolz und globaler Geltungssucht – man denke an die „Frankophonie“, diese illustre Vereinigung ehemaliger Kolonien, die die Franzosen charmant als „Partner“ bezeichnen, während sie im Hintergrund auf ihren Platz im Sicherheitsrat pochen. Frankreich hat das Vetorecht wie ein altes Familiensilber geerbt, das man zu besonderen Anlässen hervorholt, während die Welt darüber staunt, warum dieses Relikt immer noch poliert wird.
Die Vetomacht als Macht der Vergangenheit
Man muss sich doch ernsthaft fragen: Wie lange wollen wir noch so tun, als wären Großbritannien und Frankreich die Säulen der internationalen Ordnung? Der Sicherheitsrat ist heute eine Mischung aus alter Macht und neuer Realität, in der die Machtverhältnisse schon längst verschoben sind. Schauen wir uns das an: China, Russland, die USA – ja, sie repräsentieren verschiedene Aspekte des globalen Machtgefüges. Aber Großbritannien und Frankreich? Ihre Präsenz im Rat ist weniger ein Symbol der Gegenwart als ein Klammern an die Vergangenheit, die zu einem absurden Anachronismus geworden ist.
Es ist, als hätten sich diese beiden Staaten in der Geopolitik einen Dauersitz auf der besten Logenbank im Theater der internationalen Diplomatie gesichert, während andere Nationen – Indien, Brasilien, Südafrika – draußen vor der Tür Schlange stehen und sich fragen, warum sie nicht auch mitentscheiden dürfen. Diese neuen aufstrebenden Mächte, die wirtschaftlich und politisch längst eine zentrale Rolle auf der Weltbühne spielen, haben immer noch das Nachsehen, wenn es um das Vetorecht geht. Stattdessen dürfen Großbritannien und Frankreich im Sicherheitsrat weiterhin ihre „wertvollen“ Stimmen abgeben, um globale Entscheidungen zu blockieren oder zu beeinflussen, als wären sie die unumstößlichen Wächter des Weltfriedens. In Wahrheit sind sie jedoch oft nur die Erben eines Systems, das schon längst überholt ist.
Das Vetorecht war ursprünglich als Schutzmechanismus gedacht, um eine Balance der Großmächte zu gewährleisten. Doch was wir heute sehen, ist eine Art politisches Museumsstück – ein Relikt des Kalten Krieges und der Nachkriegsordnung, das nicht nur seine Berechtigung verloren hat, sondern oft als Hindernis für die Lösung globaler Konflikte dient. Ob es nun um Syrien, den Nahen Osten oder die Ukraine geht: Ein einziges „Nein“ aus London oder Paris reicht, um den diplomatischen Prozess zu lähmen, während die restliche Welt den Kopf schüttelt. Und so bleibt die internationale Gemeinschaft gefangen in den Fängen eines Systems, das längst reformbedürftig ist.
Reform oder Revolution?
Es ist höchste Zeit, dass wir uns der Realität stellen: Der UN-Sicherheitsrat ist ein postkoloniales Konstrukt, das dringend reformiert werden muss. Aber wie genau soll diese Reform aussehen? Das ist die entscheidende Frage, denn eine simple Vergrößerung des Rates wird nicht ausreichen. Wir brauchen eine tiefgreifende Veränderung, die die Machtverhältnisse der heutigen Welt widerspiegelt und nicht die von 1945.
Warum sitzen Indien, Brasilien oder Südafrika nicht im Sicherheitsrat? Warum haben Regionen wie Afrika und Lateinamerika, die einen erheblichen Teil der Weltbevölkerung stellen, keine ständigen Sitze? Wenn wir von einer gerechteren und ausgewogeneren Weltordnung sprechen, muss dies auch in der Besetzung des Sicherheitsrats sichtbar werden. Doch stattdessen klammern sich Großbritannien und Frankreich an ihre Plätze, als ginge es um ihr Überleben – was im Grunde auch stimmt, denn in der internationalen Machtarithmetik sind sie längst überholt.
Vielleicht wäre es an der Zeit, den Sicherheitsrat auf den Prüfstand zu stellen und ernsthaft darüber nachzudenken, ob das Vetorecht noch zeitgemäß ist. Anstatt das Vetorecht als ultimative Macht zu betrachten, sollten wir es als Bremsklotz verstehen, der die internationale Gemeinschaft immer wieder ausbremst, wenn es um dringende Entscheidungen geht. Die Welt braucht keine nostalgischen Großmächte mehr, die aus vergangenen Zeiten über uns wachen, sondern einen Rat, der die Gegenwart versteht und die Zukunft gestaltet.
Ein Relikt auf der Abschussliste
Der UN-Sicherheitsrat mit Großbritannien und Frankreich als ständige Mitglieder ist ein postkoloniales Relikt, das sich hartnäckig hält – ähnlich wie der Geruch alter Ledermöbel. Doch der Duft von Geschichte allein reicht nicht mehr aus, um die drängenden Probleme der Gegenwart zu lösen. Wenn wir uns eine Weltordnung wünschen, die auf Fairness und Repräsentation basiert, dann müssen wir den Sicherheitsrat reformieren. Großbritannien und Frankreich müssen akzeptieren, dass ihre Zeit als globale Großmächte vorbei ist und Platz für die neuen Akteure machen, die das 21. Jahrhundert definieren werden.
Der Sicherheitsrat ist das Herzstück der internationalen Diplomatie, aber dieses Herz schlägt nur noch schwach. Um die Probleme der Welt zu lösen, brauchen wir eine Institution, die nicht von den Schatten der Vergangenheit beherrscht wird, sondern sich den Herausforderungen der Gegenwart stellt. Der Vetofaktor der Nachkriegszeit darf nicht länger die Zukunft blockieren. Die Welt hat sich verändert – jetzt muss es auch der Sicherheitsrat tun.