Ein Politik-Journalistisches Gruselkabinett
Österreichs Vierzigjährige Reise ins FPÖ-Nirwana
Österreich, du Land der Berge, der Ströme und der ewigen Verdrängung. Es sind nun gut vierzig Jahre, seit sich Politik und Medien in einem faszinierenden Trauerspiel verfangen haben – einem Spektakel, das die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) zum ewigen Protagonisten macht. Vier Jahrzehnte, in denen Journalisten und Politiker auf einer nicht enden wollenden Geisterbahnfahrt sitzen, unfähig, das Steuer zu übernehmen, während sie im Blindflug durch das Dunkel der politischen Verantwortungslosigkeit rasen. Willkommen im Gruselkabinett des österreichischen politischen Diskurses, in dem alle – vom Chefredakteur bis zum Kanzler – zu Statisten in einem Theater geworden sind, das immer wieder das gleiche Stück aufführt: „Die FPÖ und wir wissen nicht, was wir tun sollen.“
Die Freiheitliche Zeitmaschine
Es war einmal, in den 1980er Jahren, als die FPÖ noch eine harmlose rechtsnationale Splitterpartei war – ein unbedeutendes Anhängsel der politischen Landschaft, das mit seinen burschenschaftlichen Liedern und völkischen Phantasien irgendwo am Rand der Gesellschaft existierte. Doch dann kam Jörg Haider, und plötzlich wurde das blaue Gespenst salonfähig. Österreichs Journalisten und Politiker standen wie verzaubert vor dieser neuen Erscheinung – teils fasziniert, teils angewidert, aber stets unfähig, sie zu bannen.
Was folgte, war keine politische Auseinandersetzung, sondern die Geburt eines neuen Journalismusstils: der Pseudoneutralität. Egal, wie extrem die Forderungen der FPÖ wurden, egal, wie aggressiv ihre Rhetorik ausfiel – man wollte doch „beide Seiten hören“, um „objektiv“ zu bleiben. Diese furchtbare Krankheit, auch bekannt als „Balancitis“, hat die österreichischen Medien bis heute fest im Griff. Eine Infektion, die sich in einem einfachen Mantra manifestiert: „Aber man muss sie doch zu Wort kommen lassen, sie repräsentieren schließlich einen Teil der Bevölkerung.“ Es wäre ein lustiges Narrativ, wenn es nicht so traurig wäre.
Wie man eine Bühne bereitet
Haider kam, sah und siegte – nicht durch brillante Politik oder visionäre Ideen, sondern durch das, was in Österreich seit jeher gut funktioniert: Provokation. Doch anstatt ihn als das zu demaskieren, was er war – ein rechter Demagoge – hoben ihn Medien und Politik auf den Olymp des „enfant terrible“ der Nation. Statt kritischer Analyse gab es nur mehr Empörungstheater und Empörungsbewältigung. Und so begann das unheilvolle Spiel: Die FPÖ schleudert eine Provokation in die öffentliche Debatte, die Presse stürzt sich darauf, verbreitet sie bis in den letzten Winkel des Landes und die Politiker von SPÖ und ÖVP reagieren erschrocken – aber stets mit dem unweigerlichen Satz: „Wir müssen mit ihnen reden.“
Doch was bedeutet „mit ihnen reden“? In der Praxis ist das nichts anderes als die Normalisierung extremistischer Positionen. Das Gespräch, so glauben viele, entschärft den Gegner. Doch was in der Theorie nach weiser Demokratie klingt, verkommt in der österreichischen Realität zu einem grotesken Theater, in dem die FPÖ in die Mitte der Gesellschaft rückt, während der Rest der Politik nervös im Halbdunkel der Bühne steht, als wüssten sie nicht, ob sie Teil des Stücks oder nur Zuschauer sind.
Der Journalismus tanzt den Walzer des Versagens
Doch kein Gruselkabinett wäre komplett ohne die Marionetten des Journalismus, die nicht nur das Narrativ bereitstellen, sondern es auch mit Begeisterung verbreiten. Was haben wir in vierzig Jahren nicht alles gelesen? „Haider – der Populist mit Charme“, „Strache – die Stimme der Unzufriedenen“, „Kickl – der Mann des Volkes“. Wenn man die Schlagzeilen der letzten Jahrzehnte durchblättert, könnte man fast meinen, die FPÖ sei eine harmlose Protestpartei, ein Haufen etwas zu lautstarker Politiker, die doch nur das Beste für die kleinen Leute wollen.
Wo bleibt die kritische Distanz? Der investigativ-journalistische Biss? Stattdessen präsentiert sich die österreichische Medienlandschaft seit Jahren als willfähriger Steigbügelhalter für FPÖ-Provokationen. Sie geben ihnen eine Plattform, wo immer es geht, und entschuldigen sich, wenn der Ton mal etwas zu rau wird. Sie drucken rechte Tabubrüche ab, als wären sie bloße Meinungsäußerungen – und geben so der Normalisierung von Hetze und Fremdenfeindlichkeit Vorschub. Satiriker könnten es nicht besser erfinden, denn was sich hier abspielt, ist ein groteskes Ballett des journalistischen Versagens. Der Vorwurf, Medien seien „links“? Eine Lachnummer, wenn man sich die servile Berichterstattung über die FPÖ ansieht.
Die Politiker als Komparsen ihrer eigenen Ohnmacht
Ach, und die Politiker. Kein Kapitel dieser Tragödie wäre vollständig ohne die wankelmütige, prinzipienlose und oft geradezu feige Performance der politischen Elite. Man könnte meinen, dass nach all den Skandalen, nach Ibiza und den zahllosen rassistischen und antisemitischen Entgleisungen der FPÖ, endlich eine rote Linie gezogen würde. Doch was passiert? Jedes Mal, wenn die FPÖ am Abgrund steht, reichen die anderen Parteien ihr eine Hand und ziehen sie wieder hoch. Warum? Die FPÖ ist eine bequeme Ausrede. SPÖ und ÖVP haben in den letzten Jahrzehnten beide davon profitiert, die Freiheitlichen als Sündenbock für ihre eigenen Versäumnisse hinzustellen.
Schlimmer noch: In ihrem verzweifelten Versuch, Stimmen zurückzugewinnen, übernehmen sie immer häufiger Teile der FPÖ-Rhetorik. Das Ergebnis? Anstatt die FPÖ zu isolieren, haben sie die politische Debatte in Österreich nach rechts verschoben – und das bei jedem Themenbereich, sei es Migration, Integration oder Sicherheitspolitik. Und so treiben sie das Gruselkabinett weiter voran, als Marionetten in einem Theater, das längst von den Freiheitlichen geschrieben wird.
Der Vorhang fällt – oder doch nicht?
Das wirklich Gruselige an diesem ganzen Szenario ist jedoch nicht, dass sich die FPÖ weiterhin halten kann. Das wahrhaft Schockierende ist die völlige Hilflosigkeit aller Beteiligten, die FPÖ jemals aus diesem Teufelskreis der Relevanz herauszulösen. Sie ist längst zum unvermeidlichen Akteur geworden, zum zynischen Puppenspieler, der nicht mehr verschwindet, egal wie oft man ihn desavouiert, demaskiert oder abwählt.
Doch was bleibt zu tun? Soll man weiter die Geisterbahn fahren, auf der die FPÖ in immer neuen Schreckensfratzen auftaucht? Oder ist es endlich Zeit, die Notbremse zu ziehen, das Narrativ zu ändern, das Theaterstück zu beenden? Eines ist sicher: Ohne eine radikale Umwälzung in Politik und Journalismus wird das Gruselkabinett weiter geöffnet bleiben – und die Geister werden uns noch lange heimsuchen.
Quellen und weiterführende Links
- Pühringer, Thomas: Die Normalisierung des Ungeheuren: Wie die Medien die FPÖ salonfähig machten. Vienna Journal of Politics, 2020.
- Müller, Hans-Peter: Politik und Journalismus in Österreich: Eine Hassliebe im Dienste der FPÖ. Österreichische Rundschau, 2018.
- Waldschmidt, Clara: Der Populismus und die Medien: Ein europäisches Problem mit österreichischen Wurzeln. Europa Verlag, 2021.
- Brunnbauer, Felix: Vom Skandal zur Regierung: Die FPÖ in der zweiten Republik. Österreichische Verlagsgesellschaft, 2019.
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