Die Rückkehr der Soldatenehre – Eine nationale Selbsttäuschung?
Die Verklärung des deutschen Soldaten – Zwischen Mythos, Heldenverehrung und moralischer Selbstverleugnung
Die Rückkehr der Soldatenehre – Eine nationale Selbsttäuschung?
Was genau geht vor, wenn Staatsmänner wie Adenauer und sogar ein amerikanischer General wie Dwight D. Eisenhower die Tapferkeit und Ehre des deutschen Soldaten im Zweiten Weltkrieg betonen? Was bewegt sie, nach einem der grausamsten Konflikte der Menschheitsgeschichte, in dem das deutsche Militär die Maschinerie eines verbrecherischen Regimes bildete, mit Pathos und Beifall von den „sittlichen Werten des deutschen Soldatentums“ zu sprechen? Die Antwort liegt, wie so oft, im Zwielicht zwischen Geschichte und Politik, zwischen moralischer Komplexität und einer bequemen nationalen Selbsttäuschung. Denn was hier geschieht, ist nicht weniger als der Versuch, die Bürde der Vergangenheit durch einen neuen Mythos zu entschärfen: der Mythos des „sauberen Soldaten“, der trotz seiner Rolle im katastrophalen Weltgeschehen doch als „ehrenhaft“ dargestellt wird.
Adenauers Ehrenerklärung: Eine politisch-moralische Gratwanderung
Konrad Adenauer, der erste Bundeskanzler der jungen Bundesrepublik, war ein Meister der politischen Navigation – ein Mann, der es verstand, mit äußerster Vorsicht und Pragmatismus durch die Trümmer der deutschen Nachkriegsrealität zu steuern. Doch seine Ehrenerklärung für die deutschen Soldaten im Zweiten Weltkrieg, abgegeben im Bundestag am 3. Dezember 1952, zeigt eine andere Seite seiner Politik: die Kunst des moralischen Drahtseilakts. Indem er den Soldaten, die „ehrenhaft zu Lande, auf dem Wasser und in der Luft gekämpft haben“, Anerkennung zollte, versuchte er die schier unlösbare Aufgabe zu bewältigen, die Vergangenheit zu bewältigen, ohne die nationale Identität völlig zu zerbrechen.
Aber kann man so einfach die soldatische Tugend von den Untaten des Regimes trennen, dem diese Soldaten dienten? Adenauers Rede, mit Beifall von den Regierungsparteien begleitet, sollte wohl ein Akt nationaler Wiedergutmachung sein. Doch hinter den pathetischen Worten und der feierlichen Anerkennung lauert eine tiefere, weniger schmeichelhafte Wahrheit: die Unfähigkeit und der Unwille, sich der eigenen Geschichte in ihrer ganzen Schrecklichkeit zu stellen. Es ist der Versuch, den Soldaten als unschuldiges Opfer eines bösen Systems zu stilisieren, das sich ihrer moralischen Integrität bemächtigte und sie in einen Krieg zwang, den sie nicht wollten. Das ist das bequeme Narrativ – und ein gefährliches.
Der Mythos des „ehrenhaften“ Soldaten: Eine moralische Nebelkerze
Es ist verblüffend, wie schnell und bereitwillig die deutschen Nachkriegsregierungen und auch ein großer Teil der Gesellschaft den Mythos des „ehrenhaften Soldaten“ umarmten. Es war sicherlich praktisch. Ein Land, das sich gerade von den Schrecken der Naziherrschaft erholte, wollte seine Väter, Brüder und Söhne nicht als Schergen eines verbrecherischen Regimes betrachten. Doch genau hier liegt der fatale Fehler: Diese Ehrenerklärung, ob von Adenauer oder Eisenhower, verschleiert die Tatsache, dass das deutsche Militär – die Wehrmacht, die Luftwaffe, die Kriegsmarine – eine wesentliche Stütze eines Regimes war, das auf Massenmord, Versklavung und Kriegstreiberei beruhte.
Natürlich gab es deutsche Soldaten, die ihre Pflicht in dem Glauben erfüllten, sie verteidigten ihr Vaterland. Doch die Wirklichkeit ist ungleich hässlicher: Die Wehrmacht war in zahllose Kriegsverbrechen verwickelt, sei es durch die Unterstützung des Holocaust, durch Gräueltaten an der Ostfront oder durch die brutale Unterdrückung der Widerstandsbewegungen in den besetzten Gebieten. All diese „sittlichen Werte“ scheinen in der historischen Rückschau seltsam unsichtbar zu sein, wenn man auf die blumigen Worte von Eisenhower und Adenauer blickt.
Es bleibt der bittere Nachgeschmack, dass man hier versucht, eine moralisch neutrale oder gar positive Interpretation von etwas zu finden, das in Wahrheit untrennbar mit dem größten Zivilisationsbruch des 20. Jahrhunderts verbunden ist. Der deutsche Soldat im Zweiten Weltkrieg mag oft in individuellem Mut und Kameradschaft gehandelt haben, aber er kämpfte in einer Armee, die untrennbar mit den Verbrechen des Nationalsozialismus verknüpft war. Das zu ignorieren, ist eine moralische Nebelkerze, die den Blick auf die Realität verschleiert.
Eisenhower und die deutsch-amerikanische Versöhnung: Realpolitik oder Naivität?
Warum aber machte ausgerechnet General Dwight D. Eisenhower, der Oberkommandierende der alliierten Streitkräfte in Europa, am 22. Januar 1951 eine derart erstaunliche Aussage, in der er die Tapferkeit des deutschen Soldaten hervorhob? Dies könnte auf den ersten Blick verwirren, schließlich war Eisenhower der Mann, der den D-Day kommandierte und den Untergang der NS-Diktatur maßgeblich vorantrieb. Doch bei näherer Betrachtung wird deutlich: Dies war Realpolitik in ihrer reinsten Form.
Nach dem Krieg musste sich die westliche Welt einer neuen Bedrohung stellen: dem Kommunismus. Deutschland, das einstige Feindesland, war nun plötzlich ein Bollwerk gegen die sowjetische Ausdehnung. Und was wäre geeigneter, um das moralische Fundament dieses neuen westdeutschen Staates zu stabilisieren, als die Soldaten des ehemaligen Feindes zu rehabilitieren? Eisenhowers Aussage war sicherlich weniger ein moralisches Urteil als vielmehr ein strategisches Manöver, um die deutsch-amerikanische Allianz zu stärken. Doch was auch immer die Motive waren, der Schaden war angerichtet: Die mythologische Verklärung des deutschen Soldaten erhielt eine Weihe von höchster Stelle.
Adenauer und die Wiederbewaffnung: Die sittlichen Werte als Fassade
Adenauer war ein Kanzler, der sich nur allzu gut der politischen Notwendigkeiten bewusst war. Die Wiederbewaffnung Deutschlands, die er vorantrieb, war eine unausweichliche Konsequenz des Kalten Krieges. Doch in seiner Erklärung vor dem Bundestag vom 3. Dezember 1952, in der er die „sittlichen Werte des deutschen Soldatentums“ hervorhob, offenbart sich eine Rhetorik, die eine tiefere Ambivalenz enthüllt. Denn während er die Vergangenheit der deutschen Armee in einem goldenen Licht erscheinen lässt, spricht er gleichzeitig von der Notwendigkeit, diese Werte mit den Grundprinzipien der neuen deutschen Demokratie zu „verschmelzen“. Aber welche „sittlichen Werte“ waren das? Die Disziplin, die Tapferkeit, die Kameradschaft? Oder waren es die unheilvollen Loyalitäten und der blinde Gehorsam, der die Wehrmacht in die Dienstbarkeit eines mörderischen Systems führte?
Adenauers Versuch, die Vergangenheit und die Zukunft des deutschen Soldaten in Einklang zu bringen, ist nicht nur eine Frage politischer Notwendigkeit, sondern auch eine der moralischen Abstraktion. Er spricht von der „ethischen Werte des Soldaten“, als ob diese je unabhängig von der politischen Realität existieren könnten. Die Wehrmacht war keine moralisch neutrale Institution – sie war eine militärische Macht, die aktiv an einem völkermörderischen Projekt beteiligt war. Adenauers Worte, so kunstvoll sie auch formuliert sind, übersehen diese unbequeme Wahrheit.
Schluss: Der ewige Tanz mit der Geschichte – Was bleibt?
Die Ehrenerklärungen von Adenauer und Eisenhower für die deutschen Soldaten sind mehr als nur historische Fußnoten. Sie sind symptomatisch für einen größeren gesellschaftlichen und politischen Umgang mit der Vergangenheit, der sich in Deutschland und darüber hinaus manifestiert. Die Bereitschaft, die Verantwortung für die Verbrechen des Nationalsozialismus zu verwässern, um eine bequeme nationale Erzählung aufrechtzuerhalten, zeigt eine unheimliche Fortsetzung jener intellektuellen Bequemlichkeit, die schon vor 1945 die Grundlage für die katastrophalen Ereignisse legte.
Die Verklärung des „ehrenhaften Soldaten“ ist eine gefährliche Täuschung, die die Realität der Geschichte verfälscht und die moralischen Lehren, die wir aus dieser Zeit ziehen sollten, verzerrt. Es ist an der Zeit, sich dieser Mythologisierung zu stellen und die ungeschminkte Wahrheit zu akzeptieren: Es gibt keine sauberen Hände im Krieg eines verbrecherischen Regimes.
Quellenangabe und weiterführende Links:
- Eisenhower, Dwight D.: Anmerkungen zu Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg. In: The Papers of Dwight D. Eisenhower, Bd. 11. John Wiley & Sons, 1951.
- Adenauer, Konrad: Die Erklärungen zur Wiederbewaffnung und den deutschen Soldaten. Rede vor dem Deutschen Bundestag, 3. Dezember 1952.
- Fritz, Stephen G.: Frontsoldaten: The German Soldier in World War II. University Press of Kentucky, 1995.
- Bartov, Omer: Hitler’s Army: Soldiers, Nazis, and War in the Third Reich. Oxford University Press, 1991.