Die Modepolizei schlägt zu

Wie ein Tweet über Tessa Ganserers Outfit den Staatsschutz auf den Plan rief

Über den ironischen Untergang der freien Meinungsäußerung im Zeitalter von Tweets und Outfits, die die Republik erschüttern.

Die perfide Macht des Wortes

Es war ein unschuldiger, ja beinahe alltäglicher Februarabend, als Mike G. seine Finger über die Tastatur gleiten ließ. Ein Mann, ein Smartphone, und ein Tweet, der ihm bald mehr Aufmerksamkeit verschaffen sollte, als es je seine Absicht gewesen war. Die Worte „nuttig“ und „T**** .G*******.“ fanden in einem waghalsigen Textkonstrukt zusammen, das sich binnen Sekunden in die endlosen Weiten von X (ehemals Twitter) entfaltete, ohne zu ahnen, dass es bald das Schwergewicht des Staates auf sich ziehen würde. Ein zufällig getimter Ausbruch von Meinungsfreiheit? Nein, meine Damen und Herren, das war die Geburtsstunde einer echten Staatsaffäre.

Es brauchte gerade einmal fünf Monate – was für deutsche Bürokratieverhältnisse ein regelrechter Blitzkrieg an Effizienz ist – bis der lange Arm des Gesetzes zuschlug. Mike, ein Mann ohne politische Ambitionen und, man möchte hinzufügen, ohne sonderliche modische Expertise, fand sich inmitten eines Dramas wieder, das selbst Kafka nur mit einem leicht irritierten Stirnrunzeln zur Kenntnis genommen hätte. Am 2. Juli hielt er einen Brief in den Händen, der alles verändern sollte. Ein Verweis auf den ominösen Paragraphen 188 StGB, der „Beleidigung, üble Nachrede und Verleumdung gegen Personen des politischen Lebens“ als Straftatbestand festlegt, verwandelte Mikes scheinbar harmlose Abendbeschäftigung in eine Staatskrise, von der man bisher nur aus entfernten Bananenrepubliken zu hören geglaubt hatte. Der Tweet, der Tweet also – das neue Massenvernichtungsinstrument unserer Zeit.

Staatsschutz und Haute Couture

Nun könnte man meinen, der Staatsschutz sei mit ernsthaften Bedrohungen beschäftigt – Terrorismus, Cyberangriffe, oder vielleicht wenigstens der Planung eines inszenierten Staatsstreichs durch gelangweilte Bürger. Weit gefehlt! In einer unerwarteten Wendung der Prioritätenliste war das Outfit einer grünen Abgeordneten von solch epochaler Bedeutung, dass man Mike, den gewiss nicht modisch versierten X-Nutzer, ins Visier nahm. Und es war nicht irgendein Outfit – nein, es war eines, das selbst eingefleischte Stilkritiker in eine Art Dilemma des guten Geschmacks stürzen könnte. Aber war es wirklich „nuttig“? Das ist nicht mehr die Frage der Modekritik. Es ist die Frage der Staatsraison.

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Man stelle sich das Schauspiel vor, wie der arme G. die krude Nachricht von der vermeintlichen Straftat entgegennimmt. Was hatte er getan? Eine Bank ausgeraubt? Ein Attentat geplant? Nein, noch schlimmer: Er hatte eine modische Verfehlung der Bundestagsabgeordneten Ganserer öffentlich hinterfragt – und zwar auf eine Art und Weise, die den sensiblen Paragrafen 188 StGB zum Erbeben brachte. Dass ihm das Schreiben zunächst keinen genauen Hinweis auf seine abscheuliche Tat gab, ist nur als zusätzliches Zeichen der verfeinerten Sensibilität des deutschen Justizapparats zu werten. Schließlich will man einem Bürger die Chance geben, sich seine eigene Verfehlung langsam zu erschließen, ganz im Sinne der persönlichen Einsicht und Reue.

G., erschüttert und verwirrt, tat das Naheliegendste: Er rief bei der Polizei an. Doch wie es das Schicksal so will, war selbst hier der Ausgang ungewiss. Niemand schien den Unterzeichner des Briefes zu kennen. Nach einer Odyssee von Weiterleitungen und unbeholfenen Auskünften landete G. schließlich bei einer Schlüsselfigur: „Der Mann ist vom Staatsschutz.“ Mit einem Hauch von Ehrfurcht in der Stimme offenbarte sich die Bedeutung dieser Worte. Hier wurde nicht bloß eine Beleidigung geahndet – hier stand die Integrität der Republik auf dem Spiel. Das Outfit einer Abgeordneten zu verunglimpfen, das war nichts weniger als ein Angriff auf die Grundfesten unserer Demokratie. Wenn das kein Fall für den Staatsschutz ist, was dann?

Über die Stilpolizei und die Mode als nationales Heiligtum

Nun, man könnte sich fragen, wie es dazu kam, dass modische Verfehlungen oder, Gott bewahre, deren verbale Sanktionierung, zum Arbeitsfeld des Staatsschutzes avancierten. Hat uns nicht schon der altehrwürdige Kleiderkritiker Oscar Wilde gelehrt, dass Mode eine Kunst ist, die mit einem zwinkernden Auge zu betrachten sei? Aber nein, in diesen ernsten Zeiten, in denen politische Korrektheit und das Wohlbefinden unserer modischen Entscheidungsträger in untrennbarem Zusammenhang stehen, müssen auch die schärfsten Gesetze greifen. Wer könnte je die potenziellen Auswirkungen eines harmlosen Tweets auf das Staatsgefüge ermessen? Hier wurde Mode nicht nur zur Metapher, sondern zur realen Gefahr für die öffentliche Sicherheit erhoben.

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Die Assoziationen, die Mikes unbedachte Wortwahl – „nuttig“ – hervorgerufen hat, mögen für einige beleidigend erscheinen, für andere lediglich eine stilistische Beobachtung, aber für den Staatsschutz war es eindeutig ein Alarmsignal. Schließlich war der Schutz des politischen Lebens schon immer eine Frage des Ansehens, und was könnte das Ansehen mehr gefährden als die Tatsache, dass jemand, irgendwo, sich erdreistet, über die Wahl eines Kleides zu urteilen?

Es bleibt uns also nur, gespannt darauf zu warten, wie dieser Fall enden wird. Wird Mike G. dem Gefängnis entgehen, indem er öffentlich ein Modeseminar absolviert? Werden wir demnächst Verordnungen erleben, die es verbieten, über die Kleidung von Politiker*innen öffentlich zu urteilen? Vielleicht, meine lieben Leserinnen und Leser, liegt die Zukunft in einer Gesellschaft, in der der Geschmack zur staatlichen Angelegenheit wird, und die Richter nicht mehr in Roben, sondern in den neuesten Kreationen der Berliner Fashion Week zu Gericht sitzen.

Quellen und weiterführende Links:

  1. §188 StGB – Beleidigung gegen Personen des politischen Lebens: Gesetzestext
  2. Tessa Ganserer im Bundestag: Ein modischer Überblick
  3. „Mode und Staatsräson“ – Eine philosophische Abhandlung über die politische Bedeutung von Kleidung
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