Die ewige Farce der Lüge
Eine Gesellschaft im Spiegel des Zynismus
Die Regeln sind ganz einfach, sagt uns Elena Gorokhova, mit der Gewissheit einer Chronistin, die lange genug zugesehen hat, um die Dynamik eines kranken Spiels zu durchschauen. Es ist eine Choreografie, in der Wahrheit und Lüge zu Tanzpartnern werden, die im Takt eines gesellschaftlichen Zynismus‘ über die Bühne gleiten. Lüge und Erkenntnis: das perfekte Duo, das uns schon seit Jahrhunderten in der Illusion gefangen hält, dass das alles irgendwann enden könnte. Aber seien wir ehrlich – das wird es nicht. Es wird nicht enden, weil niemand wirklich will, dass es endet. Wir sind Meister darin geworden, ein Spiel zu spielen, in dem wir die Regeln besser kennen als die Spielleiter selbst. Und so dreht sich das Karussell weiter.
Der Tanz um die Wahrheit: Eine Tragikomödie in mehreren Akten
Wer glaubt, dass die Lüge etwas Verwerfliches ist, hat die Welt noch nicht verstanden. Die Lüge ist das, was uns zusammenhält, was uns morgens aus dem Bett holt und abends ins Bett bringt. Wenn wir aufrichtig wären – wirklich aufrichtig – könnten wir keine fünf Minuten in dieser Welt überleben. Die Wahrheit ist eine Art Virus: tödlich, wenn man sie in Reinform konsumiert. Zum Glück ist das System darauf ausgelegt, uns durchgehend mit einer Dosis wohldosierter Falschheit zu impfen, sodass wir nie ganz an der Realität erkranken. Jeder kennt das Spiel, aber keiner sagt es laut. Schließlich wäre es unhöflich, das fragile Gleichgewicht zu stören, auf dem unsere sozialen Strukturen basieren. Es ist wie beim russischen Roulette: Jeder weiß, dass es eines Tages vorbei sein könnte, aber bis dahin lacht man noch und dreht die Trommel weiter.
Politiker, die neuen Hofnarren
In diesem Theater der Lügen spielen die Politiker die Hauptrolle, die mit feiner Ironie und einem Augenzwinkern immer wieder die gleichen Phrasen dreschen. „Es geht uns allen besser“, sagen sie, während die Inflation uns die Schuhe von den Füßen frisst. „Wir arbeiten an Lösungen“, beteuern sie, während sie in Wirklichkeit an ihren eigenen Karriereleitern schrauben. „Das ist im Interesse des Volkes“, hört man, wenn der nächste Gesetzentwurf über die Bühne geht, der wieder einmal nichts weiter als eine symbolische Beruhigungspille für die Massen ist. Sie lügen, wir wissen, dass sie lügen, aber trotzdem tun wir so, als würden wir ihnen glauben. Warum? Weil das Spiel das verlangt. Weil wir nicht die Rolle des Außenseiters spielen wollen, des Verräters, der das Kartenhaus zum Einsturz bringt.
Politiker sind heute keine Staatsmänner mehr, sondern die Hofnarren unserer Zeit. Sie lenken uns ab, damit wir die Absurdität unseres eigenen Lebens ertragen können. Sie spielen uns vor, dass sie an einem besseren Morgen arbeiten, während sie sich heimlich schon auf den luxuriösen Abend vorbereiten. Und das Beste daran: Wir alle machen mit. Wir lachen über die Witze, klatschen bei den richtigen Stellen und tun so, als ob das, was wir sehen, eine Form von Wirklichkeit wäre. In Wirklichkeit aber wissen wir längst, dass wir die Akteure in einem absurden Theaterstück sind, das kein Ende kennt.
Die moderne Demokratie: Ein makelloser Betrug
Manch einer mag glauben, dass in einer Demokratie die Wahrheit zwangsläufig ans Licht kommt. Eine wunderschöne Vorstellung, nicht wahr? Tatsächlich ist die Demokratie der perfekte Rahmen, um die Lüge zu institutionalisieren. In keiner anderen Regierungsform wird die Kunst des Lügens so geschickt verschleiert und so allumfassend zelebriert. Die Wahlkämpfe sind nichts weiter als ein Wettbewerb der kreativsten Lügen. Der Kandidat, der am überzeugendsten lügen kann, wird belohnt. Es ist wie eine Talentshow, bei der nicht der Sänger gewinnt, der die schönsten Töne trifft, sondern der, der am besten vortäuscht, überhaupt zu singen.
Und wir, die Zuschauer, genießen die Show. Natürlich tun wir das. Denn die Wahrheit wäre zu schmerzhaft. Die Wahrheit würde uns zwingen, die Illusion aufzugeben, dass wir in irgendeiner Weise Kontrolle über unser Leben haben. Also spielen wir mit. Wir gehen wählen, wir diskutieren, wir empören uns – aber am Ende des Tages wissen wir genau, dass es keinen Unterschied macht. Die Demokratie ist eine Fassade, hinter der sich die Lüge geschickt verbirgt. Und doch ist sie notwendig, weil sie uns die Illusion gibt, dass wir frei sind, dass wir mitbestimmen können. Sie ist der sanfte Schleier, der uns vor der unerträglichen Wahrheit schützt: dass wir nur Marionetten in einem Spiel sind, dessen Regeln längst festgelegt wurden.
Der Mensch: Ein Liebhaber der Lüge
Es ist nicht die Politik allein, die diese Farce am Leben hält. Wir Menschen sind von Natur aus anfällig für die Lüge. Vielleicht liegt es in unseren Genen, vielleicht ist es eine kulturelle Errungenschaft. Fakt ist: Wir wollen belogen werden. Die Wahrheit ist zu unbequem, zu hässlich, zu endgültig. Die Lüge hingegen ist flexibel, anpassungsfähig und vor allem tröstend. Sie lässt uns glauben, dass die Dinge vielleicht doch nicht so schlimm sind, dass es Hoffnung gibt, dass am Ende doch alles gut wird.
Wir wissen, dass es nicht so ist, aber das ist egal. Die Lüge ist der Kitt, der unsere fragile Existenz zusammenhält. Sie ist wie ein Rauschmittel, das uns durch den Tag bringt, uns die Kälte der Realität vergessen lässt. Und wie bei jedem Abhängigen ist der Moment der Ernüchterung der schlimmste. Niemand will ihn erleben. Also tun wir alles, um die Illusion aufrechtzuerhalten. Wir belügen uns selbst genauso, wie uns andere belügen. Das ist das Fundament unserer Zivilisation: eine gegenseitige Übereinkunft, dass die Wahrheit zwar irgendwo existieren mag, aber bitte nicht in unserem Alltag.
Die Zukunft: Ein Spiegel der Vergangenheit
Was erwartet uns also in der Zukunft? Eine Rückkehr zur Wahrheit? Natürlich nicht. Warum sollten wir das tun? Die Regeln sind längst geschrieben, und sie haben sich als erfolgreich erwiesen. „Sie belügen uns, wir wissen, dass sie lügen, sie wissen, dass wir wissen, dass sie lügen, aber trotzdem lügen sie weiter, und wir tun weiter so, als würden wir ihnen glauben.“ So war es immer, so wird es immer sein. Es gibt keinen Grund, warum sich daran etwas ändern sollte. Die Lüge ist zu tief in unser gesellschaftliches Gefüge eingewoben, als dass sie jemals verschwinden könnte. Wer glaubt, dass die Wahrheit eine Chance hat, hat das Spiel nicht verstanden. Die Wahrheit wird immer eine Außenseiterrolle spielen, während die Lüge die Bühne dominiert. Aber das ist in Ordnung. Denn, seien wir ehrlich: Ohne die Lüge wäre das Leben unerträglich langweilig.
Quellenangaben und weiterführende Links
- Gorokhova, Elena: A Mountain of Crumbs. Simon & Schuster, 2010.
- Orwell, George: 1984. Secker & Warburg, 1949.
- Arendt, Hannah: Lying in Politics: Reflections on The Pentagon Papers. Harcourt, 1972.
- Sennett, Richard: The Fall of Public Man. W. W. Norton & Company, 1977.
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