Die Euphemismus-Tretmühle schlägt wieder zu

Natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit statt Migrationshintergrund

Es gibt Momente im Leben, da fühlt man sich wie in einem schlecht inszenierten Theaterstück. Die Schauspieler wechseln ihre Masken, das Bühnenbild bleibt dasselbe. Nur die Dialoge werden in immer unverständlicheren Begriffen vorgetragen. Ein solches Gefühl beschleicht einen unweigerlich, wenn man sich das jüngste sprachliche Kunststückchen der politischen Klasse anschaut: die „natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit“. Klingt wie eine zu ehrgeizige Doktorarbeit, ist aber nur der neueste Versuch, das gute alte Wort „Migrationshintergrund“ durch einen Euphemismus zu ersetzen, der sich wissenschaftlicher und vor allem harmloser anhört. Denn wer will schon zugeben, dass die Realität zunehmend von Diskursen bestimmt wird, bei denen der Spaten nie ein Spaten sein darf, sondern stets als „ergonomisches Erdbewegungsinstrument“ bezeichnet werden muss?

Ein neuer Begriff – dieselbe alte Geschichte

Man fragt sich: Warum diese umständliche Wortakrobatik? War „Migrationshintergrund“ etwa zu simpel, zu ehrlich? Schien er womöglich zu sehr mit der Realität verknüpft? Eine Realität, in der die Themen Migration und Integration nicht immer so rund laufen, wie sie in den Sonntagsreden der Politiker gerne dargestellt werden. Vielleicht ist es diese Realität, die man nun in noch wolkigeren Begriffen verstecken möchte. „Natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit“ klingt doch gleich viel vertrackter, viel verschwommener, viel weniger problematisch – oder nicht? Das macht es einfacher, heikle Themen zu umschiffen, die ohnehin in der öffentlichen Debatte zunehmend mit Samthandschuhen angefasst werden. Man spricht nicht mehr von „Problemen“, sondern von „Herausforderungen“. Und auch „Integration“ hat in diesem Kontext längst eine Bedeutungsveränderung erfahren – vom Zusammenwachsen einer Gesellschaft zur bloßen Koexistenz von Parallelwelten.

Doch diese Euphemismus-Tretmühle – der Begriff stammt übrigens aus der Soziolinguistik – folgt immer demselben Schema: Kaum hat sich ein Wort im allgemeinen Sprachgebrauch etabliert, wird es negativ konnotiert, verschleiert oder durch eine weitere Blase aus Nichtigkeiten ersetzt. So wurde aus der „Gastarbeitergeneration“ erst der „Ausländer“ und später der „Migrant“, der schließlich im „Menschen mit Migrationshintergrund“ mündete. Nun also die nächste Stufe: „natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit“. Ein Konstrukt, das man dreimal lesen muss, um zu verstehen, dass es nichts anderes meint als das, was zuvor als „Migrationshintergrund“ bekannt war. Aber in einer Gesellschaft, die sich zunehmend in Identitätskämpfen und politischer Korrektheit verliert, muss alles irgendwie neutral klingen – auch wenn es das Gegenteil suggeriert.

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Verschleiern statt klären

Die zentrale Frage, die sich bei diesem sprachlichen Hokuspokus stellt, ist natürlich: Was will man damit erreichen? Warum ein derartiger Zirkus um einen Begriff, dessen Kerninhalt doch weiterhin derselbe bleibt? Will man verschleiern, dass sich hinter der Fassade einer vermeintlich bunten, diversen Gesellschaft immer noch grundlegende Probleme verstecken? Probleme, die mit Kultur- und Religionskonflikten, Integrationsschwierigkeiten und Parallelgesellschaften einhergehen? Aber anstatt diese Missstände offen und ehrlich zu benennen, werden sie nun hinter akademisch klingenden Begriffen versteckt, die mehr Fragen aufwerfen, als sie beantworten.

Wenn aus einem „Migrationshintergrund“ plötzlich eine „natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit“ wird, macht dies das Leben für niemanden einfacher. Die Betroffenen bleiben dieselben, ihre Herausforderungen ebenfalls. Die Begriffe ändern sich – aber die Realität bleibt hartnäckig und unverändert. Und genau das ist die Krux an der Sache: Während die Politik sich im Wortfindungsprozess verliert und die Menschen mit schillernden Begriffen abspeist, bleiben die eigentlichen Probleme bestehen. Die Integration funktioniert weiterhin mehr schlecht als recht, die sozialen Spannungen nehmen zu, und die Segregation in den Großstädten schreitet voran. Aber Hauptsache, die Sprache ist schön sauber und politisch korrekt, nicht wahr?

Der sprachliche Eiertanz der Politik

Die Tatsache, dass Politiker immer wieder neue Begriffe für alte Phänomene erfinden müssen, ist ein bezeichnendes Symptom für die Verfassung unserer politischen Klasse. Es ist, als ob sie sich ständig vor der Verantwortung drücken wollen, indem sie die Dinge komplizierter darstellen, als sie sind. Man könnte fast meinen, sie hätten Angst davor, die Realität beim Namen zu nennen. Es ist doch viel bequemer, über „natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit“ zu reden, als sich den realen Problemen der Migration und Integration zu stellen. Dabei wäre genau das nötig: eine ehrliche, offene Debatte über die Fragen, die diese Gesellschaft wirklich umtreiben.

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Aber anstatt sich diesen Herausforderungen zu stellen, verstrickt sich die Politik lieber in endlosen Diskussionen über Begrifflichkeiten. Der Bürger, der sich mit den tatsächlichen Problemen konfrontiert sieht, wird dabei alleine gelassen. Man könnte fast den Eindruck gewinnen, dass es gar nicht mehr um Lösungen geht, sondern nur noch um die Wahrung des schönen Scheins. Denn solange man sich auf sprachlicher Ebene in Sicherheit wiegt, kann man sich den unbequemen Fragen entziehen: Wie gestalten wir eine Gesellschaft, in der alle – egal ob mit oder ohne „natio-ethno-kultureller Zugehörigkeit“ – ihren Platz finden? Wie schaffen wir es, echte Integration zu ermöglichen und nicht nur das Nebeneinander von Parallelgesellschaften zu verwalten?

Wollen wir das wirklich?

Die Einführung eines neuen Begriffs wie der „natio-ethno-kulturellen Zugehörigkeit“ ist ein weiteres Zeichen dafür, dass sich die Politik zunehmend von den realen Problemen dieser Gesellschaft entfernt. Anstatt sich ehrlich und offen mit den Herausforderungen der Migration auseinanderzusetzen, wird die Debatte auf eine sprachliche Ebene verlagert, die niemandem hilft. Der Begriff „Migrationshintergrund“ mag seine Schwächen haben, aber er war zumindest verständlich und nachvollziehbar. Der Versuch, ihn durch ein noch unverständlicheres Konstrukt zu ersetzen, wird die Probleme nicht lösen – im Gegenteil.

Die Frage, die wir uns stellen müssen, lautet daher: Wollen wir das wirklich? Wollen wir in einer Gesellschaft leben, in der die Probleme immer weiter unter einem Mantel der politischen Korrektheit versteckt werden? Wollen wir, dass sich die Politik weiterhin in Euphemismen und Phrasen verliert, anstatt sich den echten Herausforderungen zu stellen? Oder ist es an der Zeit, dass wir den Spaten endlich wieder einen Spaten nennen und die Dinge beim Namen nennen?

Am Ende bleibt die Hoffnung, dass wir uns nicht länger von sprachlichen Nebelkerzen blenden lassen, sondern die drängenden Fragen unserer Zeit angehen – mit Klarheit, Ehrlichkeit und dem Mut, auch unangenehme Wahrheiten auszusprechen.


Quellen und weiterführende Links:

  • Duden: Euphemismus. Bedeutung und Verwendung.
  • Wiese, Heike: Kiezdeutsch: Ein neuer Dialekt entsteht. München: C.H. Beck, 2012.
  • Bundesministerium des Innern: Migrationsbericht 2020.
  • Heitmeyer, Wilhelm: Deutsche Zustände: Folge 10. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 2012.
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