Der Arbeiterführer 2.0
Babler, der österreichische Jeremy Corbyn
Österreich, das Land der gemütlichen Kaffeehäuser, der wunderschönen Alpenpanoramen und des schlagkräftigen Schmähs, hat sich im Laufe der letzten Jahrzehnte politisch kaum durch revolutionäre Umwälzungen hervorgetan. Es mag also auf den ersten Blick etwas seltsam erscheinen, dass Andreas Babler, Bürgermeister der niederösterreichischen Kleinstadt Traiskirchen und mittlerweile auch Bundesparteivorsitzender der SPÖ, in manchen Kreisen als „österreichischer Jeremy Corbyn“ gehandelt wird. Die Frage, die sich nun stellt: Handelt es sich bei dieser Zuschreibung um einen Ausdruck heimlichen Stolzes auf einen vermeintlichen linken Messias – oder schlicht um den hilflosen Versuch, einen Funken revolutionären Eifers in das graue Getriebe der österreichischen Politik zu injizieren?
Denn eines ist klar: In einem Land, in dem ein K.-u.-k.-Nostalgiker wie Sebastian Kurz zum politischen Superstar avancieren konnte, wirkt Babler wie ein Anachronismus, der sich seinen Platz in der Geschichte erst noch verdienen muss. Doch vielleicht ist es genau diese Unzeitgemäßheit, die Babler interessant macht. Seine Haltung ist unmissverständlich: Anti-Neoliberalismus, Kapitalismuskritik und die unermüdliche Betonung der Bedeutung des Wohlfahrtsstaates. Seine Rhetorik? Direkt, klar und manchmal charmant unbequem – vor allem für jene, die sich im politisch-mittigen Mainstream wohlfühlen.
Doch hier stellt sich die Gretchenfrage: Ist Andreas Babler ein ehrlicher Anwalt der Arbeiterklasse oder bloß der romantische Anführer einer verlorenen Sache? Die Parallelen zu Jeremy Corbyn sind nicht zu übersehen, aber lassen sie sich auch wirklich halten?
Populismus, aber bitte mit Niveau
Jeremy Corbyn war für viele Briten das, was Babler für die Österreicher sein könnte: eine Symbolfigur der „anderen Politik“, der Sehnsucht nach mehr sozialer Gerechtigkeit und einer konsequenten Ablehnung der neoliberalen Dominanz. Doch wo Corbyn eine breite Basis unter den jungen Linken aufbauen konnte, ist Babler bislang vor allem ein Nischenphänomen geblieben. Seine populistischen Ansätze – und machen wir uns nichts vor, sie sind populistisch – tragen zwar den Mantel der Sachlichkeit, doch darunter verbergen sich knallharte Parolen, die im besten Fall als progressiv-romantisch und im schlimmsten Fall als weltfremd-naiv abgetan werden.
Die Frage, die sich aufdrängt: Hat Andreas Babler verstanden, dass das linke Politikverständnis der letzten Jahrzehnte in einem zunehmend globalisierten und von Kapitalströmen getriebenen Europa keinen Platz mehr hat? Oder versucht er, eine nostalgische Version des Sozialismus zu verkaufen, die höchstens bei Alt-68ern oder verirrten Jungsozialisten Anklang findet?
Die Welt von heute dreht sich schneller. Die sozialen Medien haben das politische Spiel verändert und jede noch so kleine Fehlzündung wird sofort von einem aufgebrachten Mob zerfleischt. Babler, der sich oft gegen den marktkonformen Mainstream stellt, wirkt in dieser Dynamik oft wie ein aufrechter Ritter im Kampf gegen Windmühlen – allerdings in Rüstung aus den 1970er Jahren.
Traiskirchen als Corbyns Islington
Traiskirchen – eine Stadt, die vor allem durch ihr Flüchtlingslager traurige Berühmtheit erlangt hat, könnte als Bablers Islington herhalten. Doch die Parallelen enden dort abrupt. Wo Corbyn mit dem städtischen Multikulturalismus Londons und seiner linken Hochburg spielte, muss Babler in einer politischen Realität operieren, die von der ländlichen, konservativen Seele Österreichs geprägt ist. Sein Kampf gegen die Flüchtlingspolitik, seine Verteidigung der Schwachen und Entrechteten – das alles ist schön und gut, aber reicht es aus, um das Erbe eines europäischen Sozialismus fortzuschreiben, der selbst in seiner Blütezeit nicht mehr als ein Ideal war?
Andreas Bablers Ausgangslage mag vergleichbar sein, doch seine Bühne ist deutlich kleiner. Während Corbyn auf dem internationalen Parkett stand, blickt Babler von einem hügeligen Aussichtspunkt auf Wien – und muss dabei zusehen, wie der rechte Rand immer weiter ins Zentrum rückt. Seine wohlmeinenden Appelle gegen die unmenschliche Behandlung von Geflüchteten oder die Vernachlässigung sozial schwacher Schichten verhallen oft in den Ohren jener, die sich längst der simplen, aber verführerischen Rhetorik von Angst und Abschottung zugewandt haben.
Die Linke als Relikt – eine Renaissance der Roten?
Es bleibt die Frage: Kann Andreas Babler das österreichische Pendant zur linken Revolution darstellen, wie sie Corbyn in Großbritannien angestoßen hat? Zweifelsohne, die Linke hat im gesamten europäischen Kontext an Zugkraft verloren. Doch Andreas Babler versucht, eine Gegenbewegung zu etablieren. Seine vehemente Ablehnung des „real existierenden Neoliberalismus“, wie er es nennt, und seine sture Beharrlichkeit auf Solidarität, soziale Gerechtigkeit und Arbeitsrechte haben durchaus Charme.
Aber ehrlich gesagt – wie viel Platz ist in der österreichischen Seele wirklich noch für die Linke? Vielleicht liegt der Reiz, den Andreas Babler ausübt, in seiner Fähigkeit, eine politische Alternative in einer Zeit zu verkörpern, in der Alternativen rar geworden sind. Er spricht die Sprache der Enttäuschten, jener, die sich von den technokratischen Apparatschiks in Brüssel, Wien und darüber hinaus verraten fühlen.
Doch der Zyniker in mir fragt sich, ob es sich bei dieser „Renaissance der Roten“ nicht um eine Art nostalgisches Aufbäumen handelt. Eine letzte verzweifelte Umarmung alter Ideale, bevor man endgültig ins Reich der politischen Bedeutungslosigkeit abdriftet. Die Welt hat sich verändert, und es bleibt zu fragen, ob jemand wie Babler in der Lage ist, diese neuen Herausforderungen anzunehmen – oder ob er lediglich der letzte Mohikaner einer sterbenden politischen Gattung ist.
Eine Brücke zu weit?
Man könnte also sagen, Andreas Babler sei der österreichische Jeremy Corbyn – aber nur, wenn man den Realitätsverlust als Grundvoraussetzung dafür definiert. Denn es ist doch so: Corbyn wurde von der Welle der Enthusiasten getragen und stürzte dennoch an den Klippen der britischen politischen Realität. Babler steht vor einem ähnlichen Dilemma. Er wird von seinen Unterstützern für seine Unbeugsamkeit gefeiert, doch die kritische Masse, die es bräuchte, um eine echte politische Revolution auszulösen, bleibt aus. Österreich ist nicht das Vereinigte Königreich, und der politische Diskurs hier ist oft weniger auf Rebellion, sondern auf Stabilität ausgelegt.
Während Corbyn ein Momentum erlebte, das von der kollektiven Wut der britischen Jugend getragen wurde, scheint Babler in einem politischen Vakuum zu agieren, in dem das Aufbegehren eher als skurrile Marotte denn als ernsthafte Bedrohung wahrgenommen wird. Wer braucht schon Revolutionäre, wenn es ohnehin nur noch um die Verwaltung des Status quo geht?
Babler mag ein ehrenhafter Kämpfer sein, aber der Zynismus der politischen Realität wird ihn am Ende einholen. Die Menschen mögen seine Visionen bewundern, aber sie werden ihm kaum die Macht geben, diese umzusetzen. Ein tragisches Paradoxon, das jedem linken Politiker irgendwann widerfährt: Man möchte die Welt verändern, aber die Welt hat längst aufgehört, auf solche wie ihn zu hören.
Ein Held – aber nur in unseren Herzen?
Andreas Babler wird vielleicht nie das werden, was Jeremy Corbyn für viele in Großbritannien war: ein echter Hoffnungsträger der Linken. Dafür fehlt ihm die Bühne, das Momentum und – seien wir ehrlich – die Zeit. Während die britische Linke immerhin noch einen schwachen Impuls verspürt, scheint die österreichische Linke seit langem tot zu sein. Babler mag sie aufrütteln, aber ob er sie wirklich wiederbeleben kann, bleibt zweifelhaft.
Und doch, in der Stille eines langen politischen Winters, könnte es sein, dass die Ideen von Babler irgendwann auf fruchtbaren Boden fallen – wenn die Umstände es zulassen. Vielleicht ist es nicht Babler, der versagt, sondern die Zeit, die noch nicht reif ist für eine solche Rückkehr zu sozialistischen Idealen. Vielleicht.
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