AUF DEM LINKEN AUGE BLIND
DIE BLINDEN FLECKEN DER LINKEN
Es ist eine der merkwürdigsten und widersprüchlichsten Erscheinungen in der politischen Landschaft: Die Linke, die sich gerne als moralische Instanz im Kampf gegen Faschismus und rechte Ideologien präsentiert, zeigt eine erschreckende Blindheit gegenüber den Verbrechen und totalitären Tendenzen kommunistischer Regime. Während Diktaturen und Gräueltaten aus dem rechten Spektrum erbittert und umfassend verurteilt werden – zurecht, wohlgemerkt – herrscht eine beunruhigende Zurückhaltung, wenn es um die düstere Bilanz des Kommunismus geht. Die selektive Anwendung moralischer Empörung offenbart einen ideologischen Defekt: Die linken Systeme, die im 20. Jahrhundert zahllose Opfer gefordert haben, werden oft als „Missverständnisse“ abgetan oder auf Einzelpersonen reduziert, während ihr ideologischer Kern unantastbar bleibt. Doch warum fällt es so schwer, sich mit dieser Geschichte kritisch auseinanderzusetzen?
Die Weigerung, die eigenen Schatten zu sehen
In der linken politischen Rhetorik fungiert die extreme Rechte seit jeher als Inbegriff des Bösen. Hitler und der Nationalsozialismus stehen exemplarisch für alles, was politisch verwerflich ist. Dies ist nicht nur verständlich, sondern auch notwendig: Die Verbrechen des Nationalsozialismus dürfen niemals vergessen werden. Doch während auf der rechten Seite des politischen Spektrums kein Verbrechen übersehen wird, scheut die Linke den Blick auf die eigene, oft nicht weniger brutale Vergangenheit. Warum bleibt diese Blindheit bestehen?
Es ist eine Form ideologischer Zwangsläufigkeit. Kommunistische Ideale versprechen Gerechtigkeit, Gleichheit und Solidarität – Werte, die tief in den politischen und sozialen Kämpfen der Linken verankert sind. Eine umfassende Kritik an den Verbrechen kommunistischer Systeme würde daher nicht nur die Geschichte, sondern auch die moralische Grundlage vieler linker Positionen infrage stellen. Diese kognitive Dissonanz wird aufrechterhalten, indem die Verbrechen verharmlost, relativiert oder als „Fehler“ abgetan werden, die nichts mit der eigentlichen Idee zu tun hätten. Doch kann man eine Ideologie wirklich von ihren Ergebnissen trennen? Wenn Ideale immer wieder in Gewalt und Unterdrückung münden, sollte man sich dann nicht fragen, ob das Problem tiefer liegt?
Mao, Pol Pot und Che Guevara
Nichts verdeutlicht die moralische Verwirrung der Linken besser als die geradezu bizarre Verehrung von Figuren wie Mao Zedong, Pol Pot oder Che Guevara. Mao, verantwortlich für den Tod von schätzungsweise 45 Millionen Menschen während des Großen Sprungs nach vorn und der Kulturrevolution, wurde von vielen linken Intellektuellen als Revolutionär verehrt, der gegen den Kapitalismus und den Imperialismus kämpfte. Die Brutalität seines Regimes wurde oft ignoriert oder verharmlost – eine groteske Verzerrung der Realität.
Pol Pot, der Anführer der Roten Khmer, dessen Regime in Kambodscha für den Tod von etwa einem Viertel der Bevölkerung verantwortlich war, erhielt in linken Kreisen teils offene Sympathie, weil er die Ausbeutung des Volkes durch den Kapitalismus beendete. Hier zeigt sich eine Form von politischem Zynismus, die tief verstört: Der Tod von Millionen wird als notwendiges Übel für den Aufbau einer „gerechten“ Gesellschaft hingenommen.
Und dann ist da noch Che Guevara. Heute ist sein Bild auf T-Shirts und Postern in linken Studentenwohnheimen weltweit zu finden – ein romantisiertes Symbol des Revolutionärs, des Kämpfers gegen die Unterdrückung. Dass Guevara für Gewalt, Hinrichtungen und Homosexuellenfeindlichkeit stand, wird dabei großzügig übersehen. Die Ikonisierung eines Mörders als Held des Widerstands ist eine bittere Parodie auf das Ideal der Gerechtigkeit, das die Linke für sich beansprucht.
Das „Kleine Rote Buch“ als Kultsymbol
In den 1970er Jahren gab es kaum eine linke Versammlung ohne Maos „Kleines Rotes Buch“ – ein Symbol revolutionärer Reinheit, ein Werkzeug des Widerstands gegen westliche Dekadenz und kapitalistische Ausbeutung. Doch was sagt es über eine Bewegung aus, wenn sie die Worte eines Mannes feiert, der durch seine Politik den Tod von Millionen Menschen verursacht hat? Ist das die Art von Freiheit und Gleichheit, die die Linke anstrebt? Der blinde Idealismus der Mao-Anhänger verhinderte eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der brutalen Realität der chinesischen Revolution. Statt einer kritischen Reflexion wurde das Buch zum Kultobjekt erhoben, zum Fetisch eines blutigen Idealismus.
Romantische Verklärung einer blutigen Ideologie
Die Romantisierung des Kommunismus ist ein gefährliches Phänomen. Zu oft wird das Scheitern kommunistischer Regime als Ergebnis von „Fehlern“ oder „Missverständnissen“ dargestellt, während die grundlegenden totalitären Strukturen dieser Systeme ausgeblendet werden. Ja, der Kommunismus versprach Gleichheit und Freiheit, doch die Realität war oft das Gegenteil: Unterdrückung, Überwachung, Gewalt. Warum hält die Linke so hartnäckig an einer Ideologie fest, die immer wieder in Katastrophen mündete? Die Antwort liegt möglicherweise in der emotionalen Bindung an die Idee selbst: Der Traum von einer gerechteren Welt ist so stark, dass er alle Beweise für das Gegenteil überlagert.
Das Schwarzbuch des Kommunismus
Das „Schwarzbuch des Kommunismus“, 1997 unter der Leitung des französischen Historikers Stéphane Courtois veröffentlicht, ist eine umfassende Dokumentation der Verbrechen kommunistischer Regime im 20. Jahrhundert. Es bilanziert die enormen menschlichen Kosten dieser Ideologie, darunter Massenmorde, Zwangsarbeit, Hungersnöte und politische Verfolgung, die weltweit über 100 Millionen Todesopfer forderten. Das Werk analysiert systematisch die Gräueltaten in Ländern wie der Sowjetunion, China, Kambodscha und Osteuropa, und zeigt auf, wie kommunistische Bewegungen, trotz ihrer hehren Ideale, immer wieder in totalitäre Gewalt und Unterdrückung mündeten. Dieses Buch hat sowohl heftige Debatten ausgelöst, da es eine bis dahin oft vernachlässigte Seite der Weltgeschichte beleuchtet.
Und doch: In der Linken fand dieses Werk nur begrenzt Beachtung. Während die Verbrechen des Faschismus regelmäßig diskutiert und untersucht werden, fehlt eine vergleichbare Auseinandersetzung mit den Verbrechen des Kommunismus weitgehend. Diese selektive Geschichtsbetrachtung wirft ein dunkles Licht auf die moralische Glaubwürdigkeit der politischen Linken.
Die woke Renaissance
In den letzten Jahren hat die Popularität von Sozialismus und Kommunismus in bestimmten Kreisen der „woken“ Bewegung zugenommen. Junge Menschen, oft enttäuscht von den Ungerechtigkeiten des Kapitalismus, wenden sich radikalen linken Ideen zu – ohne sich der historischen Folgen bewusst zu sein. Es besteht die Gefahr, dass alte Fehler wiederholt werden, dass der Zyklus von Idealismus und Gewalt von Neuem beginnt. Doch wie kann man eine gerechte Gesellschaft aufbauen, wenn man die blutige Geschichte der Ideologie, der man folgt, ignoriert?
Die Gefahr kommt von rechts
Die politische Diskussion in westlichen Demokratien konzentriert sich fast ausschließlich auf die Bedrohung von rechts. Der Faschismus wird als größte Gefahr für die Freiheit und Demokratie betrachtet – und das ist auch berechtigt. Doch die Geschichte zeigt, dass die Bedrohung nicht nur von rechts kommt. Auch von links kann totalitäre Gewalt ausgehen, wie die Verbrechen des Kommunismus deutlich machen. Es ist Zeit, beide Extreme gleichermaßen kritisch zu hinterfragen, um eine gesunde demokratische Balance zu wahren. Die Blindheit auf dem linken Auge muss überwunden werden.
Die blinden Flecken und die selektive Toleranz
Es ist an der Zeit, dass die politische Linke sich ihrer eigenen Geschichte stellt. Die selektive Empörung über die Verbrechen der Rechten bei gleichzeitiger Verharmlosung der kommunistischen Gräuel ist moralisch nicht vertretbar. Toleranz und Gerechtigkeit können nur dann glaubhaft verteidigt werden, wenn man bereit ist, sich auch den dunklen Kapiteln der eigenen Ideologie zu stellen. Toleranz auf des Messers Schneide bedeutet, die blinden Flecken zu erkennen – und aus der Vergangenheit zu lernen.