Das Scheitern als Methode
Wie man Verfassungen bricht, ohne es zu merken
In der schönen, heilen Welt der europäischen Politik ist alles möglich. Schließlich reden wir hier von der Europäischen Union, einer Bürokratiemonstranz, die mittlerweile mehr Regelungen herausgibt, als eine durchschnittliche Buchhandlung Bestseller auf Lager hat. Doch wofür Regeln, wenn sie niemand ernst nimmt? Verfassungen, Verträge, juristische Verpflichtungen – das sind doch bloß nette Vorschläge, eine Art Buffet politischer Optionen, an dem sich die Staaten bedienen, wenn ihnen danach ist. Besonders Maastricht und Lissabon: Verträge, die einst feierlich unterzeichnet und dann so lange vergewaltigt wurden, bis sie nur noch eine Erinnerung an ihre ursprüngliche Bedeutung sind. Aber hey, was kümmert es die EU? Solange der Geldhahn offenbleibt und Billionen von Staatspapieren im Kreislauf sind, läuft das System.
Man könnte sagen, das ist der „europäische Weg“. Man könnte es auch als kollektiven Verfassungsbruch bezeichnen, aber wir wollen mal nicht so kleinlich sein. Schließlich hat sich die EU schon lange entschieden: Regeln gelten nur so lange, bis sie unbequem werden.
Das zynische Märchen von fiskalischer Disziplin
Als der Vertrag von Maastricht 1992 feierlich unterzeichnet wurde, schwor man sich gegenseitig feierlich die ewige Treue – zur Stabilität, zur Währung, zur Demokratie. Ach, wie schön klangen die Versprechen! Eine goldene Zukunft, in der jeder Mitgliedsstaat seinen Haushalt penibel überwachen, Verschuldung vermeiden und einen stabilen Euro garantieren würde. Man sprach von Konvergenzkriterien: nicht mehr als drei Prozent Haushaltsdefizit und nicht mehr als 60 Prozent Schuldenquote im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt. Welch noble Absichten!
Aber die Realität? Nun ja, die war wie üblich unverschämt. Schon ein paar Jahre später wurde klar, dass die von Maastricht vorgeschriebenen Grenzen bestenfalls als grobe Orientierungshilfe dienten. Die erste Regel des Club Med, äh, der EU: Wenn du ein Problem mit Schulden hast, mach dir einfach keine Sorgen – irgendjemand anders wird schon dafür zahlen. Fiskalische Disziplin? Ein Relikt aus der Vergangenheit, ein Dorn im Fleisch der Vision einer grenzenlosen Gemeinschaft, in der jeder tun und lassen kann, was er will. Und Deutschland? Ja, auch Deutschland, der selbsternannte Sparmeister, vergaß Maastricht, als es das eigene Defizit in den frühen 2000ern großzügig „übersah“. Aber wer will es ihnen verübeln? Solidarität ist schließlich wichtiger als Disziplin. Man soll ja nicht kleinlich sein.
Wie man Demokratie aushebeln kann, ohne es zu merken
Kommen wir zum Vertrag von Lissabon, jener textlichen Masturbation, die uns als „Verfassung“ verkauft wurde, aber irgendwie doch keine ist. Dieser Meilenstein europäischer Staatskunst, von dem sich die politische Elite erhoffte, alle demokratischen Mängel der EU zu beheben, ist in Wirklichkeit ein Meisterwerk der institutionellen Verdunklung.
Man könnte den Eindruck gewinnen, dass es der EU bei Lissabon vor allem darum ging, die Macht in den Händen weniger zu konzentrieren. „Demokratie“ ist ja so ein nerviges Konzept. Es wäre so viel effizienter, wenn man Entscheidungen zentral fällen könnte, ohne das lästige Gequatsche von Parlamenten und Bürgern. Und so geschah es. Der Lissabon-Vertrag gibt dem Europäischen Rat und der Kommission noch mehr Macht, während das Parlament weiterhin ein hübsches Feigenblatt bleibt, das gelegentlich nicken darf, wenn es ihm aufgetragen wird. Aber Demokratie ist in Brüssel sowieso etwas anderes. In der EU herrscht die Expertokratie – jene erhabene Herrschaft der Kommissare, die von niemandem gewählt werden, aber trotzdem wissen, was gut für uns alle ist. Natürlich nur zu unserem Besten, versteht sich.
Der Verfassungsbruch als europäische Routine
Man muss der EU eines lassen: Sie hat ein Talent dafür, ihre eigenen Regeln mit einer gewissen, fast schon bewundernswerten Nonchalance zu ignorieren. Verfassungsbruch? Ach, nennen wir es „Flexibilität“. Die Union entwickelt sich schließlich ständig weiter! Besonders schön lässt sich dies am Umgang mit den Schuldenregeln zeigen. Die Maastricht-Kriterien gelten heute nur noch auf dem Papier. Seit der Finanzkrise von 2008, die viele Staaten in eine Art Dauer-Minus schleuderte, hat die EU die Notbremse gezogen – zumindest auf dem Papier.
Was folgte, war das allseits beliebte Spiel mit den Staatsanleihen. Billionen von Staatspapieren wurden in Umlauf gebracht, und wer aufpasst, merkt schnell: Schulden sind das neue Schwarz. Die Europäische Zentralbank, angeführt von geldpolitischen Visionären, kaufte sich munter durch die Finanzmärkte, als gäbe es kein Morgen. Der EU-Weg: mehr Schulden, mehr Anleihen, mehr „Liquidität“. Man nennt es heute „quantitative Lockerung“. Ein hübscher Begriff, der so viel bedeutet wie „Druck mehr Geld, wir wissen schon, was wir tun“. Irgendwie.
Schulden als Lebensform
Nun, da wir bei den Billionen angekommen sind, wird es erst richtig interessant. Staatspapiere haben sich zu einer Art Allheilmittel entwickelt – dem Aspirin der europäischen Politik. Jedes Problem, egal ob strukturelle Defizite, Bankenrettungen oder pandemiebedingte Wirtschaftskrisen, wird mit einer großzügigen Dosis „Staatspapiere“ kuriert. Wofür gibt es schließlich eine Zentralbank, wenn nicht, um für unendliche Liquidität zu sorgen?
Die EU-Staaten haben längst die Furcht vor Schulden verloren, weil sie wissen: Irgendwer wird sie schon kaufen. Die EZB zum Beispiel. Oder die „Märkte“. Es ist beinahe zynisch, wie diese Billionen von Schulden durch die europäischen Finanzsysteme fließen, als wäre das alles normal. Doch normal ist in der EU nichts mehr. Es ist eine Parallelwelt, in der Schulden nicht zurückgezahlt werden müssen, weil wir uns alle darauf geeinigt haben, dass es irgendwann „besser“ wird. Wann? Ach, irgendwann halt.
Und die Bürger? Nun, die Bürger dürfen zahlen. Natürlich nicht direkt – das wäre ja unpopulär. Stattdessen steigen die Inflation, die Steuern, und irgendwie verschwindet das Geld vom Konto, während Brüssel weiter von der großen Vision eines vereinten Europas träumt. Dass dieses Europa auf einem Schuldenberg steht, der jeden Moment zusammenbrechen könnte, ignoriert man mit professioneller Gelassenheit.
Der Verfassungsbruch als Erfolgsmodell?
Und so stehen wir heute da, in einem Europa, das sich gerne als Bastion der Rechtsstaatlichkeit und der Demokratie darstellt, während es gleichzeitig seine eigenen Verträge mit einer unverschämten Nonchalance missachtet. Maastricht? Lissabon? Schön und gut, aber wer will schon eine Verfassung, wenn man die Regeln je nach Bedarf zurechtbiegen kann?
Es bleibt zu hoffen, dass die EU diesen Balanceakt noch eine Weile durchhält, bevor sie unter der Last ihrer eigenen Widersprüche zusammenbricht. Aber bis dahin bleibt uns zumindest eines: das tröstliche Lachen über die Absurdität dieses politischen Konstrukts. Denn wie heißt es so schön? Die besten Satiren schreibt das Leben – oder, in diesem Fall, die Europäische Union.
Quellen und weiterführende Links:
- Vertrag von Maastricht: EUR-Lex
- Vertrag von Lissabon: Europa.eu
- EZB und die quantitative Lockerung: European Central Bank
- Staatsverschuldung und Anleihenmarkt: Eurostat