Das NetzDG
Die Renaissance der Zensur im edlen Gewand der Demokratie
Es war einmal in einem Land, dessen Name wir nicht nennen müssen, weil es ohnehin jedem bekannt ist, dass in jenem Land die Meinungsfreiheit einst hochgehalten wurde wie das goldene Kalb. Aber dann, plötzlich, zog ein Sturm auf. Dieser Sturm kam in Form von Wörtern, bösen Wörtern, unliebsamen Meinungen, die sich unkontrolliert im unendlichen Weiten des Internets verbreiteten wie eine Seuche. Und wie reagiert eine aufrechte, demokratische Gesellschaft auf Worte? Mit einem Gesetz, natürlich! Und zwar einem Gesetz von so vielschichtiger Eleganz und brutaler Effizienz, dass man sich in den goldenen Zeiten der europäischen Aufklärung wähnt – wäre da nicht der nachdrückliche Verdacht, dass dieses neue Gesetz zur Verteidigung der Tugend, das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (oder kurz NetzDG), in Wirklichkeit ein trojanisches Pferd der Zensur ist.
Vom Hass im Netz zur glorreichen neuen Ordnung
Das NetzDG wurde geboren aus einer scheinbar noblen Absicht: der Eindämmung der sogenannten Hasskriminalität. „Hasskriminalität“, das Wort allein lässt einen erschaudern. Eine Bedrohung, die nur die strahlendsten Ritterschaften der Demokratie zu besiegen imstande sind. Also beschloss der Gesetzgeber, das große Schwert der Ordnung zu schwingen – und was bietet sich da besser an als soziale Netzwerke? Die modernen digitalen Marktplätze, auf denen Menschen von überall her ihre Meinungen austauschen, seien es noch so schräge, irrationale oder eben hasserfüllte. Doch wo das Volk in all seiner Primitivität seinen Wortschatz entfaltet, da muss die Elite eingreifen.
Man stelle sich das vor: Ein Kommentar auf Facebook, der die Regeln des guten Geschmacks sprengt. Früher hätten wir das schlichtweg ignoriert oder vielleicht sogar die Person entfreundet – doch das ist für unsere heutige Gesellschaft, die ja inzwischen viel sensibler auf alles und jeden reagiert, nicht mehr genug. Nein, heute haben wir das NetzDG, das soziale Netzwerke wie Facebook und YouTube zwingt, Beiträge innerhalb von 24 Stunden zu löschen, wenn sie „offensichtlich rechtswidrig“ sind. Die Definition von „offensichtlich“ wird hier auf eine Weise interpretiert, die nur eine Handvoll Experten wirklich durchdringen kann – und selbst diese Experten finden sich oft genug in hitzigen Debatten darüber wieder, ob ein Kommentar zur Kritik an der Politik oder zur Anstiftung zur Revolution gezählt werden soll.
Wer bin ich und wenn ja, wie finde ich’s heraus?
Nicht nur die Inhalte werden gefiltert, sondern auch die Menschen selbst. Wie wunderbar praktisch: Das NetzDG gibt Opfern von Persönlichkeitsverletzungen die Möglichkeit, die wahren Identitäten der bösen Übeltäter durch gerichtliche Anordnung zu enthüllen. Wer also glaubt, er könne sich im Schatten der Anonymität verstecken, irrt. Ein Klick zu viel und schon flattert der Antrag auf Herausgabe der Bestandsdaten ins Haus – schneller als der Pizzalieferdienst.
Stellen wir uns die Szene vor: Ein Wutbürger schreibt auf Twitter, entschuldigen Sie, X, einen erbosten Kommentar über die Regierung. Wenig später klopft es an der digitalen Tür, und siehe da, der einst so freie und wilde „User123“ muss sich vor Gericht erklären. Ein Triumph der Gerechtigkeit? Oder vielleicht doch eher der Beginn einer sanften, kaum merklichen Massenüberwachung? Vielleicht ist es auch eine Art Volkssport geworden, in Foren nach Beleidigungen zu suchen und dann mit der Rechtskeule zuzuschlagen. In jedem Fall: Wer heute noch ohne Bedacht etwas postet, ist selbst schuld.
Die Zensoren im Glanz des Göttin-Gewandes
Wenn wir ehrlich sind – und wann sind wir das schon – sollten wir uns eingestehen, dass das NetzDG eigentlich eine altbekannte Form der Zensur darstellt. Früher, in den düsteren Zeiten der Geschichte, war es der Monarch, der entschieden hat, welche Gedanken sich im Volk verbreiten durften. Heute übernimmt diese Aufgabe der Algorithmus. Wie bequem! Doch die edlen Worte, in denen das Gesetz verpackt ist, lassen uns glauben, wir würden die Werte der Demokratie schützen. Natürlich! Denn Zensur ist ja nur dann schlecht, wenn sie von den „Falschen“ kommt. Kommt sie jedoch im edlen Gewand der „Göttin Europa“, so ist sie doch wohl kaum Zensur, oder?
Nun, die Göttin Europa wäre vielleicht etwas beunruhigt, zu erfahren, dass ihre Statue inzwischen dazu dient, das freie Denken in vorgegebene Bahnen zu lenken. Unter dem Deckmantel des Schutzes vor Hass werden Meinungen gefiltert, Menschen an den Pranger gestellt, und was einmal als freies Internet galt, wird Stück für Stück reguliert, gesäubert und gestrafft. Die Ironie ist köstlich: Während das NetzDG vorgibt, die Demokratie zu verteidigen, indem es Hassrede unterdrückt, schränkt es genau die Freiheit ein, die es zu schützen vorgibt.
Schluss mit der Freiheit – für mehr Sicherheit!
Am Ende bleibt die Frage: Haben wir uns mit dem NetzDG wirklich einen Gefallen getan? Ist die gefühlte Sicherheit, die das Gesetz verspricht, die Einschränkung der Meinungsfreiheit wert? Viele meinen, die Antwort liege in der Balance zwischen Freiheit und Sicherheit. Doch wie es so oft mit der Balance ist, sobald man sie einmal ins Wanken bringt, neigt sie dazu, ganz auf eine Seite zu kippen. Und in diesem Fall scheint die Seite der Sicherheit immer schwerer zu werden, während die Freiheit mehr und mehr schwindet.
Es bleibt uns also nichts anderes übrig, als das NetzDG als das zu betrachten, was es wirklich ist: ein modernes Zensurgesetz, verpackt in hübsche juristische Begriffe und verkauft als Notwendigkeit für den Schutz der Gesellschaft. Es ist eine perfekte Mischung aus Orwell’schem Neusprech und Kafkaesker Bürokratie. Ob wir uns dagegen wehren werden? Wohl kaum. Schließlich wollen wir alle sicher sein. Und sicher ist nur der, der schweigt.
Quellen und weiterführende Links:
- Gesetzestext des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG): Bundesregierung.de
- „Hasskriminalität im Netz: Was das NetzDG wirklich bewirkt“ – Heise Online
- „Meinungsfreiheit vs. NetzDG: Ein schmaler Grat“ – Süddeutsche Zeitung
- „Die dunklen Seiten des NetzDG“ – FAZ