Niemand hat die Absicht, einen Atomkrieg zu beginnen
(Frei nach Walter Ulbricht)
Der Duft der Vernunft, verweht im Wind des Wahnsinns
Wer erinnert sich nicht an diese wahrhaft epochalen Worte des einstigen DDR-Staatsratsvorsitzenden Walter Ulbricht? „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten.“ Ein Satz, der in seiner surrealen Verkehrung der Wirklichkeit selbst Kafka das Handwerk hätte legen können. Und so tönt es heute in einer unerträglichen Reprise aus den erlauchten Hallen der Politik: „Niemand hat die Absicht, einen Atomkrieg zu beginnen.“ Doch anstatt Mauern sind es heute keine Geringeren als Raketen, die unsere kollektive Sicherheit bedrohen – und anstatt Ost und West trennt uns die wachsende Kluft zwischen gelebter Realpolitik und irrwitziger Weltanschauung. Die EU will also der Ukraine gestatten, weitreichende Waffensysteme tief in russisches Territorium zu feuern – nicht etwa zur Verteidigung, nein, sondern zum angeblich heiligen Akt der Freiheit. Ein Akt, der mehr ist als ein bloßer Funke im Pulverfass. Es ist ein Tanz am Vulkan, der mit jedem Schritt den Abgrund näher bringt.
Ein Witz in der Endlosschleife
Wir leben doch in einer Demokratie, oder? In einem Europa der Freiheiten und Werte. Sagen uns zumindest die Hüter der „westlichen Zivilisation“, wenn sie sich im Parlament zu einer Abstimmung einfinden. 425 Ja-Stimmen, 131 Nein-Stimmen und 63 Enthaltungen – und plötzlich scheint das Mandat für den nächsten Krieg quasi unterzeichnet. Worum geht es? Darf die Ukraine mit Waffen tief nach Russland schießen? Natürlich! Denn, wie uns versichert wird, die Gefahr eines Atomkriegs ist nur eine Fata Morgana, eine Illusion der Skeptiker. Ein Lacher am Ende der Geschichte. Schließlich haben die Politiker in ihren klimatisierten Konferenzräumen ganz genau abgewogen, was „vernünftig“ ist. Die 88 Prozent der Bevölkerung, die sich laut einer Umfrage des Institute for Global Affairs für eine diplomatische Lösung und gegen eine Eskalation aussprechen, sind nicht mehr als das lästige Rauschen der Realität. Ignorieren wir doch die Bürger, die sich Sorgen um Hunderttausende von Toten machen – sie verstehen einfach nicht, dass sie in einem moralischen Hochglanzdrama mitspielen, in dem der finale Akt immer eine Explosion ist.
Der Karneval der Heuchelei
Während sich die heuchlerische Tapferkeit des Westens in der Forderung nach mehr Waffen entfaltet, wird es ganz leise, wenn es um die Ursprünge dieses desaströsen Dramas geht. Erinnern wir uns: 1962, Kuba-Krise. Die USA sahen es als ihre gottgegebene Pflicht, die Welt vor den sowjetischen Raketen auf Kuba zu schützen, die nur 90 Meilen vor ihrer Haustür standen. Es war die Rote Linie. Ein Atomkrieg schien damals unausweichlich. Doch ein kleiner, feiner Unterschied trennt dieses historische Ereignis vom heutigen Fiasko: Damals trat man auf die Bremse. Heute drückt man hemmungslos aufs Gaspedal. NATO-Raketen sollen in der Ukraine stationiert werden, direkt vor Russlands Haustür. Aber das, so sagt man uns, sei natürlich kein Grund zur Sorge. Keine Provokation, nur Verteidigung. Nur dass dieses Narrativ im Vergleich zu den damaligen Reden der Kennedy-Ära nur noch wie ein schlechter Abklatsch klingt.
Stanislaw Petrow und der Held, der keinen Twitter-Account brauchte
Wir sollten innehalten, für einen Moment den Zeigefinger vom Raketenknopf nehmen und uns erinnern: An Oberst Stanislaw Petrow, einen Mann, dessen Name in keiner Geschichtsstunde Erwähnung findet, weil Helden, die einen Atomkrieg verhindern, offenbar nicht spannend genug sind. Am 26. September 1983 meldeten sowjetische Computer einen Angriff von US-amerikanischen Atomraketen. Ein Fehlalarm, wie sich herausstellte. Doch Petrow, der diensthabende Offizier, entschied in einem Akt der schieren Vernunft, diesen Alarm nicht weiterzuleiten. Hätte er es getan, hätte die Sowjetunion mit einem Gegenschlag geantwortet. Der Dritte Weltkrieg wäre eine Tatsache gewesen. Doch Petrow drückte keinen Knopf, keine Taste, keinen Abzug. Ein Mann, der es wagte, die Automatik des Todes zu durchbrechen. Seine Geschichte lehrt uns: Es braucht keine Massen an Raketen, keine rhetorische Muskelspiele, sondern einen Moment des klaren Denkens. Einen Menschen, der sich dem Wahnsinn entgegenstellt.
Verhandeln ist feige
Zurück ins Heute: Jeder, der für Verhandlungen plädiert, wird als naiver Träumer, als unsäglicher Appeaser denunziert. Als ob es ein Akt der Feigheit wäre, einen Dialog zu beginnen, während die Bomben explodieren. Die Medien, die Intellektuellen, die Politiker – sie alle haben sich in eine bequeme Rhetorik der Eskalation verliebt, die längst ihren eigenen Kreislauf des Wahnsinns erzeugt hat. Jeder Tag, an dem keine Verhandlungen beginnen, ist ein verlorener Tag für die Menschheit. 88 Prozent der Bevölkerung Westeuropas sprechen sich für eine diplomatische Lösung aus, doch ihre Stimmen sind im ohrenbetäubenden Lärm der Kriegstrommeln nicht zu hören. Hat das Volk nicht ein Recht darauf, gehört zu werden? Schließlich sind es nicht die Abgeordneten des EU-Parlaments, die an die Front ziehen. Es sind nicht die Generäle, die ihre Söhne und Töchter in Leichensäcken zurückbekommen werden.
Die letzte Frage – Wer drückt den Knopf?
Am Ende bleibt die quälende Frage: Wer wird den ersten Schuss im Atomkrieg abfeuern? Und noch wichtiger: Wer wird die Verantwortung tragen? Sind es die Abgeordneten, die bedenkenlos für eine Eskalation stimmen, ohne die Konsequenzen zu überblicken? Oder sind es jene, die sich an die Geschichte erinnern, an Stanislaw Petrow, an die Gefahren eines Fehlalarms und die Unerbittlichkeit der Nuklearschläge? Die Geschichte hat uns mehr als genug gewarnt. Aber es scheint, als ob wir beschlossen hätten, sie zu ignorieren.
Quellen und weiterführende Links
- Institute for Global Affairs Umfrage: Westeuropäische Einstellung zum Ukrainekrieg
- Kuba-Krise 1962: Chronik der Ereignisse
- Stanislaw Petrow – Der Mann, der die Welt rettete
- EU-Parlament Abstimmungsergebnis über den Einsatz weitreichender Waffensysteme
Wem das nicht reicht, dem sei gesagt: Niemand hat die Absicht, einen Atomkrieg zu beginnen. Aber Vorsicht! Es ist bloß ein Satz. Und Sätze lügen, wie wir wissen, öfter als Bomben explodieren.