Ein safespace für alle? Oder nur für die richtigen?
Wie man am besten alle ausgrenzt, während man vorgibt, niemanden auszugrenzen
Im Zeitalter der „Wokeness“ lebt es sich bequem – zumindest für diejenigen, die sich geschickt auf dem schmalen Grat zwischen überbordender Empfindlichkeit und moralischer Überlegenheit bewegen können. „Wir wollen niemanden ausgrenzen“, tönt es von allen Seiten, während die Stimmen derjenigen, die sich nicht in den rigiden Denkstrukturen dieser neuen Ordnung fügen, leise im Nichts verhallen. Man wünscht sich, alle könnten mitreden, alle dürften dabei sein – vorausgesetzt, sie teilen die richtige Meinung, haben die richtige Herkunft und verhalten sich stets konform mit den nebulösen Regeln, die täglich neu definiert werden. Ach, was für ein freies und offenes Paradies!
Die „Safespace-Kultur“ beansprucht, einen Raum für alle zu schaffen, der frei von Diskriminierung und Ausgrenzung ist. Doch was sich in der Theorie wie eine rührende Utopie anhört, ist in der Praxis ein elitärer Club, der durch ein Labyrinth aus Identitätspolitik und Sprachcodes führt. Ein Paradies, das den Schutz der Schwachen verspricht, in dem aber in Wahrheit keiner mehr frei sprechen kann – aus Angst, das nächste Opfer des moralischen Mobs zu werden.
Safespaces: Heile Welt oder dunkler Kerker?
Die Verfechter der Safespace-Bewegung scheinen eine tiefe Abneigung gegenüber der Realität zu hegen. Wer eine Meinung äußert, die auch nur ansatzweise vom „richtigen“ Weg abweicht, wird schnell als Bedrohung angesehen. In diesen heiligen Räumen wird jedes Wort auf die Goldwaage gelegt, und wehe dem, der sich in einem unbedachten Moment erlaubt, auch nur eine Nuance von Ironie oder Sarkasmus einzuflechten. Humor ist in diesen Zonen verboten – zumindest jeder, der nicht von den selbsternannten Hütern der moralischen Reinheit abgesegnet wurde.
Man mag sich fragen: Wollen diese Safespaces tatsächlich niemanden ausgrenzen? Oder haben sie nicht vielmehr die Funktion eines immer enger werdenden Gedankengefängnisses? Ein Ort, der nicht etwa die Freiheit und den Austausch von Ideen fördert, sondern jede Form von Unbequemlichkeit im Keim erstickt. Ein Ort, an dem der Schutz vor den rauen Realitäten des Lebens so weit geht, dass man letztlich von der Wirklichkeit selbst abgeschnitten wird.
In diesem perfekt sterilisierten Raum wird kein einziges kritisches Wort geduldet, keine abweichende Meinung zugelassen. Die Verfechter der Safespace-Kultur sind schnell dabei, diejenigen, die sich nicht anpassen, auszugrenzen. Ironischerweise sind es gerade diese Räume, die von Inklusion predigen, die sich in die exklusivsten Orte der Ausgrenzung verwandeln.
Der große Missbrauch des Begriffs „Inklusion“
Wir leben in einer Welt, die scheinbar von der Sehnsucht nach „Inklusion“ durchdrungen ist. Doch was bedeutet dieses noble Ziel wirklich? In der modernen Safespace-Kultur hat Inklusion eine völlig neue Bedeutung angenommen. Es geht längst nicht mehr darum, Menschen mit unterschiedlichen Meinungen, Erfahrungen oder Hintergründen einzubinden. Es geht darum, sich gegenseitig in einem kollektiven Selbstbetrug zu bestätigen, dass die Welt in Schwarz-Weiß-Kategorien unterteilt werden kann: Die „Woken“ auf der einen Seite, die „Ignoranten“ auf der anderen.
Inklusion wird zum Schlagwort einer Gesellschaft, die immer rigider wird in ihrer Definition dessen, was erlaubt und was verboten ist. Unter dem Deckmantel der Inklusion wird der Ausschluss andersdenkender Menschen fast beiläufig zur Tugend erhoben. Denn nur wer die „richtigen“ Ansichten vertritt, verdient es, in den safespaces zu verweilen – der Rest darf draußen bleiben. Die paradoxe Botschaft lautet: „Wir schließen niemanden aus, außer diejenigen, die wir ausgrenzen müssen, um niemanden auszugrenzen.“
Das Dilemma der geforderten Empfindlichkeit
Mit zunehmender Empfindlichkeit wächst die Macht der Opferrolle. In der Welt der Wokeness ist der höchste gesellschaftliche Rang nicht etwa der des klugen Denkers oder des brillanten Schöpfers, sondern der des leidenden Opfers. Das Opfersein verleiht Autorität und gibt der Person das moralische Recht, über andere zu urteilen – und das mit einer Schärfe, die an die düstersten Kapitel der inquisitorischen Vergangenheit erinnert. Aber machen wir uns nichts vor: Diese Opferrolle ist nicht jedem zugänglich. Sie ist das exklusive Privileg einer ausgewählten Gruppe, die über das Recht verfügt, sich als Opfer der historischen Ungerechtigkeit zu inszenieren.
Wer in diesen Safespaces die Anerkennung der Gemeinschaft gewinnen will, muss stets ein Bewusstsein dafür haben, ob und wie er den Schmerz anderer minimieren kann. Der kleinste Fehltritt wird mit sozialer Ächtung geahndet. Ein unachtsames Wort, eine unüberlegte Geste – und schon steht man am Pranger, während die Moralhüter in den Social-Media-Galerien Applaus spenden.
Selbstzensur als neue Freiheit
Die Safespace-Bewegung, die vorgibt, den öffentlichen Raum für alle sicherer zu machen, hat eine Kultur der Selbstzensur hervorgebracht. Was man sagt, wie man es sagt und ob man es überhaupt wagt, etwas zu sagen, ist zu einer Frage des Überlebens geworden. Die Freiheit, offen und ehrlich zu sprechen, wird eingeschränkt von der Angst, in den Untiefen der „Cancel Culture“ zu versinken. Es ist eine Ironie, die selbst Orwell überfordert hätte: Man schützt die eigene „Freiheit“, indem man alle kritischen Gedanken aus dem eigenen Kopf verbannt.
Und so entsteht eine Welt, in der Freiheit nicht mehr bedeutet, seine Meinung äußern zu können, sondern vielmehr darin besteht, die eigene Zunge zu hüten. Denn wer möchte schon riskieren, in die Rolle des Bösewichts gedrängt zu werden, nur weil er es wagte, gegen die neue Orthodoxie zu sprechen? Die „Freiheit“, in einem Safespace zu sein, ist in Wahrheit die Freiheit, das Richtige zu denken – und das Falsche zu fürchten.
Das Ende der Vielfalt – Eine Welt der Monotonie
Letztlich führt die Safespace-Kultur nicht zu einer inklusiveren, sondern zu einer gleichgeschalteten Gesellschaft. Die Vielfalt der Meinungen, die Freiheit der Rede, die Fähigkeit, sich kritisch auseinanderzusetzen – all das wird geopfert auf dem Altar der Wokeness. Der Safespace mutiert zum Monospace, in dem nur eine Denkweise, nur eine Wahrheit und nur eine Moral zulässig sind.
Was bleibt, ist eine sterile Welt, in der jeder Versuch, die Dinge anders zu sehen, im Keim erstickt wird. Eine Welt, in der das, was einst als pluralistische Gesellschaft gefeiert wurde, in eine starre Diktatur der Empfindlichkeit verwandelt wurde.
Wer hätte gedacht, dass die größte Bedrohung für die Freiheit der Zukunft nicht von tyrannischen Regimen oder autoritären Herrschern ausgeht, sondern von denen, die sich am lautesten für „Inklusion“ und „Toleranz“ einsetzen?
Quellenangabe und weiterführende Links:
- George Orwell: „1984“ – Eine zeitlose Analyse totalitärer Denkmuster, die erschreckende Parallelen zur Safespace-Kultur aufzeigt.
- Jonathan Haidt & Greg Lukianoff: „The Coddling of the American Mind“ – Eine Untersuchung der negativen Auswirkungen übermäßigen Schutzes auf die geistige Gesundheit junger Menschen.
- Camille Paglia: „Free Women, Free Men“ – Provokative Essays zur Verteidigung der Meinungsfreiheit und der Rolle des Dissens in der modernen Gesellschaft.
- Artikel der Süddeutschen Zeitung über Safespaces
- Der Spiegel: „Cancel Culture – Die neue Moral und ihre Feinde“