WOKENESS

NEUE IDEOLOGIE DER TOLERANZ ODER FASCHISTISCHE BEWEGUNG?

In den letzten Jahren hat ein Begriff die gesellschaftlichen und politischen Debatten erobert: „Wokeness“. Ursprünglich als Ausdruck für ein wachsendes Bewusstsein für soziale Ungerechtigkeiten, insbesondere im Hinblick auf Rassismus und Diskriminierung, verwendet, hat sich Wokeness zu einem umfassenden ideologischen Konzept entwickelt, das weit über die ursprüngliche Bedeutung hinausgeht. Was einst als ein Aufruf zum Aufwachen und zur Sensibilisierung gedacht war, wird heute zunehmend als neue Form von Intoleranz und dogmatischer Kontrolle wahrgenommen. Doch wie konnte es so weit kommen? Und handelt es sich bei der Woke-Bewegung tatsächlich um einen Fortschritt im Kampf gegen soziale Ungerechtigkeit, oder haben wir es hier mit einer modernen Spielart von Faschismus zu tun, getarnt als moralische Überlegenheit? Diese Fragen sind von zentraler Bedeutung für das Verständnis der aktuellen gesellschaftlichen Dynamiken und verdienen eine ausführliche und kritische Auseinandersetzung.

Vom Bewusstsein zur Ideologie

Der Begriff „woke“ stammt aus dem afroamerikanischen Vernakular und wurde in den 1960er Jahren in den USA als Ausdruck für ein bewusstes und kritisches Bewusstsein gegenüber Rassismus und Ungerechtigkeit verwendet. In den letzten Jahren hat sich die Bedeutung jedoch erweitert und umfasst nun ein breiteres Spektrum an sozialen Gerechtigkeitsthemen, darunter Geschlechtergerechtigkeit, Klimawandel, LGBTQ+ Rechte und mehr. In diesem Sinne könnte Wokeness zunächst einmal ein positiver Ausdruck eines sozialen Bewusstseins sein, das Ungerechtigkeit bekämpfen will.

Doch wie bei vielen Bewegungen, die ursprünglich auf einer zu befürwortenden Absicht beruhen, hat auch die Woke-Bewegung eine Wandlung durchgemacht, die zu einer dogmatischen Ideologie geführt hat. Diese Ideologie ist durch bestimmte Merkmale gekennzeichnet, die kritisch hinterfragt werden müssen. Dazu gehört eine Tendenz zur Moralisierung, die Ablehnung jeglicher abweichenden Meinungen, und die Neigung zur Spaltung der Gesellschaft in moralisch „gute“ und „böse“ Lager.

Diese Entwicklung birgt Gefahren. Wenn soziale Bewegungen von der Erreichung ihrer Ziele abkommen und sich zu ideologischen Dogmen entwickeln, entfernen sie sich von den ursprünglichen Idealen und nehmen autoritäre Züge an. Ein kritischer Blick auf die Woke-Bewegung offenbart die Gefahren einer solchen Entwicklung und wirft die Frage auf, inwieweit Wokeness noch mit den Grundsätzen einer offenen und pluralistischen Gesellschaft vereinbar ist.

Die Moralisierung des Diskurses

Ein zentrales Merkmal der Woke-Ideologie ist die starke Moralisierung des öffentlichen Diskurses. Fragen der sozialen Gerechtigkeit werden nicht mehr nur auf der Ebene von Argumenten und Fakten diskutiert, sondern sind zunehmend zu moralischen Imperativen geworden. Wer den Forderungen der Woke-Bewegung widerspricht, wird nicht als legitimer Diskussionspartner, sondern als moralisch defizitär dargestellt.

Diese Moralisierung führt zu einer Polarisation des gesellschaftlichen Diskurses, in dem abweichende Meinungen nicht mehr als legitime Perspektiven anerkannt werden. Stattdessen werden sie als Ausdruck von Rassismus, Sexismus oder sonstiger „Unwokeness“ gebrandmarkt. Dieser Ansatz erinnert an die Mechanismen von Sekten oder autoritären Bewegungen, bei denen eine ideologische Reinheit gefordert wird und Abweichungen mit Sanktionen belegt werden.

Ein Beispiel hierfür ist die sogenannte „Cancel Culture“, bei der Personen oder Institutionen, die sich gegen die Dogmen der Woke-Bewegung äußern, öffentlich diffamiert und ausgegrenzt werden. Diese Entwicklung führt zu einer Verengung des öffentlichen Diskurses und schränkt die Meinungsfreiheit ein. Statt einer offenen Diskussion herrscht zunehmend eine Atmosphäre der Angst vor sozialen und beruflichen Konsequenzen, wenn man es wagt, von der vorgegebenen Linie abzuweichen.

Die Spaltung der Gesellschaft

Ein weiterer negativer Aspekt der Woke-Bewegung ist ihre Tendenz, die Gesellschaft in moralisch „gute“ und „böse“ Lager zu spalten. Dabei werden komplexe gesellschaftliche und politische Fragen auf einfache Dichotomien reduziert. Dies führt zu einer Verstärkung von Konflikten und einer Polarisierung, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt bedroht.

Diese Spaltung zeigt sich besonders deutlich in der Art und Weise, wie die Woke-Bewegung mit den Themen Rassismus und Identitätspolitik umgeht. Anstatt den universellen Anspruch auf Gleichheit und Gerechtigkeit in den Vordergrund zu stellen, wird eine Politik der Identität betrieben, die Menschen auf ihre Hautfarbe, ihr Geschlecht oder ihre sexuelle Orientierung reduziert. Dabei wird die Vorstellung einer kollektiven Identität gefördert, die von den individuellen Erfahrungen und Perspektiven der Menschen abstrahiert.

Diese Reduktion der menschlichen Identität auf bestimmte Merkmale führt dazu, dass der Einzelne in seiner Individualität nicht mehr wahrgenommen wird, sondern nur noch als Vertreter einer bestimmten Gruppe. Dies führt zu einer Stärkung von Vorurteilen und einer Verschärfung von gesellschaftlichen Konflikten, anstatt diese zu überwinden.

Ein besonders bedenkliches Beispiel für diese Entwicklung ist die Forderung nach sogenannten „Safe Spaces“ an Universitäten und öffentlichen Einrichtungen. Diese sollen Schutzräume für bestimmte Gruppen darstellen, in denen sie vor Kritik oder abweichenden Meinungen geschützt sind. Zwar ist es verständlich, dass Menschen sich in bestimmten Situationen vor Diskriminierung schützen wollen, doch führt die Ausweitung dieses Konzepts auf den öffentlichen Raum zu einer weiteren Fragmentierung der Gesellschaft und untergräbt den offenen Austausch von Ideen und Meinungen.

Die Gefahren der Cancel Culture

Ein besonders beunruhigender Aspekt der Woke-Bewegung ist die sogenannte „Cancel Culture“. Dieses Phänomen beschreibt die Praxis, Personen oder Institutionen, die als nicht „woke“ genug gelten, öffentlich zu diffamieren, zu boykottieren oder aus dem öffentlichen Diskurs auszuschließen. Die Cancel Culture hat sich zu einem mächtigen Instrument entwickelt, um soziale und politische Kontrolle auszuüben, indem sie diejenigen, die von der Woke-Doktrin abweichen, mit sozialer Ächtung und wirtschaftlichen Sanktionen bestraft.

Diese Entwicklung ist besonders problematisch, weil sie die Meinungsfreiheit und den offenen Diskurs bedroht, die wesentliche Bestandteile einer demokratischen Gesellschaft sind. In einer Kultur, in der jede abweichende Meinung sofort sanktioniert wird, wird es immer schwieriger, neue Ideen zu entwickeln oder bestehende Strukturen zu hinterfragen. Dies führt zu einer intellektuellen Stagnation und einer Verarmung des öffentlichen Diskurses.

Ein weiteres Problem der Cancel Culture ist ihre selektive Anwendung. Aber es sind nicht die mächtigsten und einflussreichsten Personen oder Institutionen, die gecancelt werden, sondern diejenigen, die sich am leichtesten angreifen lassen. Dies führt zu einer Verzerrung des öffentlichen Diskurses, in dem bestimmte Meinungen und Perspektiven privilegiert werden, während andere unterdrückt werden.

Die Cancel Culture zeigt auch Parallelen zu historischen Formen der sozialen Kontrolle, wie sie in totalitären Regimen oder in religiösen Sekten zu finden sind. In diesen Kontexten wurden Abweichler ebenfalls öffentlich angeprangert und ausgegrenzt, um die ideologische Reinheit der Gemeinschaft zu gewährleisten. Diese Parallelen sollten zu denken geben und dazu veranlassen, die Entwicklungen innerhalb der Woke-Bewegung kritisch zu hinterfragen.

Die Grenzen der Toleranz

Ein zentraler Widerspruch der Woke-Bewegung liegt in ihrem Verständnis von Toleranz. Während sie sich nach außen hin als Bewegung für mehr Toleranz und Gerechtigkeit darstellt, zeigt sich bei genauerer Betrachtung, dass ihre eigene Toleranz gegenüber abweichenden Meinungen und Perspektiven stark eingeschränkt ist. Dies wirft die Frage auf, ob die Woke-Bewegung tatsächlich zu einer toleranteren Gesellschaft beiträgt oder ob sie nicht vielmehr eine neue Form von Intoleranz hervorbringt.

Toleranz bedeutet im klassischen Sinne die Bereitschaft, andere Meinungen, Überzeugungen und Lebensweisen zu akzeptieren, auch wenn man sie nicht teilt. In einer pluralistischen Gesellschaft ist Toleranz eine unverzichtbare Grundlage für den Zusammenhalt und den friedlichen Umgang miteinander. Doch die Woke-Bewegung scheint ein anderes Verständnis von Toleranz zu vertreten, das mehr mit der Forderung nach Anpassung an die eigene Ideologie zu tun hat als mit dem Respekt vor der Meinungsvielfalt.

Ein Beispiel hierfür ist die Forderung nach „politischer Korrektheit“, die in der Woke-Bewegung eine zentrale Rolle spielt. Politische Korrektheit zielt darauf ab, Sprache und Verhalten so zu gestalten, dass sie keine gesellschaftlichen Gruppen diskriminieren oder beleidigen. Dies ist grundsätzlich ein berechtigtes Anliegen, das jedoch problematisch wird, wenn es in ideologischen Dogmatismus umschlägt.

In der Praxis führt die Forderung nach politischer Korrektheit dazu, dass bestimmte Themen oder Meinungen nicht mehr offen diskutiert werden können, weil sie als unangemessen oder beleidigend gelten. Dies schränkt die Meinungsfreiheit ein und verhindert den offenen Austausch von Ideen, der für eine lebendige Demokratie unerlässlich ist. Wenn Toleranz bedeutet, dass man nur noch das sagen darf.

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