EIN JOURNALISTISCHES VORBILD
Hanns Joachim Friedrichs (1995)
„Distanz halten, sich nicht gemein machen mit einer Sache, auch nicht mit einer guten, nicht in öffentliche Betroffenheit versinken, im Umgang mit Katastrophen cool bleiben, ohne kalt zu sein. Nur so schaffst du es, dass die Zuschauer dir vertrauen.“
Mit diesem Zitat formulierte Hanns Joachim Friedrichs 1995 eine journalistische Maxime, die in den aktuellen Medienlandschaften so fremd anmutet, als stamme sie aus einer längst vergangenen, beinahe sagenhaften Epoche. Ein journalistischer Standard, der nicht nur in Vergessenheit geraten ist, sondern systematisch demontiert wurde. Wer heute noch im Sinne Friedrichs distanziert, sachlich und ohne moralische Vorprägung berichten möchte, riskiert, wahlweise als zynisch, unempathisch oder gar als „rechts“ abgestempelt zu werden. Denn die journalistische Landschaft hat sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten grundlegend verändert, und dies nicht zum Guten.
Von der Haltung zum Haltungsjournalismus – und was dazwischen verloren ging
Wäre Hanns Joachim Friedrichs heute noch am Leben, würde er wahrscheinlich entsetzt den Kopf schütteln, wenn er sieht, was aus dem Journalismus seiner Nachfolgegeneration geworden ist. Es ist nicht mehr die unaufgeregte Berichterstattung, die sich der Wahrheitssuche verschreibt und Distanz wahrt, sondern vielmehr ein penetrantes, moralisch aufgeladenes Predigen, das sich „Haltungsjournalismus“ nennt. Doch was genau ist das? Und wo liegt der feine, aber entscheidende Unterschied zur Haltung, die Friedrichs einforderte?
Haltung im Sinne Friedrichs bedeutete, eine innere Integrität zu bewahren, eine Unabhängigkeit von ideologischen oder politischen Strömungen, und vor allem, dem Zuschauer oder Leser die Freiheit zu lassen, sich selbst eine Meinung zu bilden. Der moderne Haltungsjournalismus hat diese Distanz aufgegeben. Journalisten wie Georg Restle oder Anja Reschke sehen sich nicht mehr als Vermittler von Fakten, sondern als moralische Wegweiser. Es wird nicht mehr berichtet, es wird belehrt. Und das Publikum? Das soll folgen – oder schweigen.
Der Stolz, das Privileg, Reporter oder Kommentator zu sein, hat sich in eine selbstgerechte Eitelkeit verwandelt, die kaum noch Luft für Widerspruch lässt. Man schlüpft in die Robe des Anklägers und tritt mit einer scheinbaren moralischen Überlegenheit auf, die die Aufgabe der Distanz beinahe als Tugend verkauft. Nicht selten lautet der unterschwellige Tenor: „Wir wissen es besser, du da draußen nicht.“
Von Tugendwächtern und Digitalinquisitoren
Dieses journalistische Umdenken erreicht sein perverses Extrem bei einer Figur wie Jan Böhmermann, einem selbsternannten Satiriker, dessen Tätigkeit nur noch entfernt etwas mit Journalismus zu tun hat. Man möchte fast das Wort „Satire“ verteidigen, so sehr wird es von Böhmermann und seinesgleichen missbraucht. Was einst ein Werkzeug der Kritik war, verkommt heute zu einer Lizenz für Hetze, Schmähung und moralische Hochstapelei. Ob es um Politiker, Prominente oder Andersdenkende geht – die Zielscheibe wird beschossen, bis nichts mehr von ihr übrig bleibt. Und wenn der Schütze einmal daneben zielt? Dann wird die Satire-Karte gezogen, eine Immunitätserklärung, die ihn von jeder Verantwortung befreit.
Wer ist Jan Böhmermann? Ein Journalist? Ein Komiker? Oder einfach nur ein neuer Hohepriester der digitalen Inquisition, der mit jedem Tweet, mit jeder Sendung die Moralkeule schwingt, um seine „Feinde“ ins öffentliche Verderben zu stürzen? Die Antwort ist irrelevant. Denn die Grenze zwischen Meinung und Berichterstattung, zwischen Satire und Diffamierung, zwischen Journalismus und Aktivismus ist längst gefallen. Ein Georg Restle etwa sieht sich ebenso als politischer Akteur wie als Journalist – und das offen und ohne Scham. Man tritt als Aktivist auf, verkauft dies als Journalismus und wundert sich dann, warum das Vertrauen der Öffentlichkeit erodiert.
Betroffenheitsindustrie: Die Tränen der Moralapostel
Eine weitere Ausprägung des Haltungsjournalismus ist die allgegenwärtige Betroffenheit. Vor laufender Kamera wird gejammert, mit großen Gesten werden persönliche Kränkungen inszeniert, und das Publikum soll sich dabei mit den „Guten“ solidarisieren. Gefühle stehen über Fakten. Dass dies diametral zu Friedrichs‘ Credo steht, ist offensichtlich: Man macht sich nicht gemein, auch nicht mit einer guten Sache. Denn wo die Distanz verloren geht, wird der Journalist Teil der Inszenierung, und damit selbst Akteur einer politischen oder moralischen Agenda. Doch diese Entwicklung ist gewollt, sie ist Teil des Systems, das sich von rationaler Berichterstattung hin zu einem kollektiven Moraldiktat bewegt hat.
Die Erziehung der Massen durch die Medien
„Haltungsjournalismus“ ist letztlich nichts anderes als die Durchsetzung einer neuen Form der Massenindoktrination. Die Themen werden vorgegeben, die Haltung wird formuliert, und jeder, der abweicht, wird zum Feind erklärt. Die Medien haben ihre Rolle als vierte Gewalt, als Kontrollinstanz und Hüter der Wahrheit, längst abgelegt und sich stattdessen dem Glauben hingegeben, sie müssten die Bevölkerung erziehen. Das zeigt sich nicht nur in der Berichterstattung, sondern auch in der Art, wie journalistische Fehler behandelt werden.
Während früher eine fehlerhafte Berichterstattung den Ruf eines Journalisten ruinieren konnte, wird heute der Fehler einfach umgedeutet oder relativiert. Böhmermanns „Satire“ ist nur ein Beispiel von vielen. Die Verteidigung der eigenen Fehler ist dabei so durchschaubar wie arrogant: „Es war doch nur ein Scherz“, lautet der übliche Tenor, und das Publikum soll dies ohne Widerspruch schlucken. Dies ist die traurige Konsequenz einer Kultur, in der Ideologie über Integrität steht und in der die Schere im Kopf längst zur Standardausrüstung eines jeden Journalisten gehört.
Die Korrumpierung der Sprache
Doch nicht nur die Integrität des Journalismus leidet, sondern auch die Sprache selbst. In der modernen Medienwelt ist Sprache nicht mehr das Werkzeug zur Vermittlung von Informationen oder zur Aufklärung, sondern eine Waffe der Polarisierung. Die ständige Überhöhung der eigenen moralischen Position wird zur sprachlichen Praxis. Wörter wie „rechts“, „populistisch“, „Nazi“ oder „Verschwörungstheoretiker“ werden inflationär und mit maximaler Verachtung benutzt, bis sie jede Bedeutung verlieren. Dies ist kein Zufall, sondern kalkulierte Strategie: Wer den Diskurs kontrolliert, kontrolliert die Deutungshoheit, und wer die Deutungshoheit besitzt, gewinnt die moralische Schlacht – so das Ziel.
Das Problem ist, dass dies auf lange Sicht nicht funktioniert. Die Menschen sind weder dumm noch blind. Sie durchschauen die Verlogenheit, das kalkulierte Spiel mit der Empörung, und sie wenden sich ab. Dies erklärt, warum die traditionellen Medien immer mehr an Vertrauen und Reichweite verlieren. Selbst der einst so mächtige öffentlich-rechtliche Rundfunk gerät zunehmend in die Defensive. Immer mehr Menschen erkennen, dass sie nicht mehr informiert, sondern manipuliert werden sollen – und sie ziehen die Konsequenzen daraus.
Schlusspunkt: Der Journalismus im Niedergang
Der Niedergang des Journalismus, wie wir ihn heute erleben, ist kein Zufall, sondern das Ergebnis einer tiefgreifenden, systematischen Veränderung der Medienlandschaft. Es ist die Abkehr von der Distanz, der Sachlichkeit und der Wahrheit zugunsten einer allumfassenden Ideologisierung, einer neuen Form von Hysterie, die nur die eigene moralische Überlegenheit gelten lässt. Journalisten wie Hanns Joachim Friedrichs, die für eine integrere und distanzierte Berichterstattung standen, sind in dieser neuen Medienwelt Fremdkörper.
Die Frage, die sich am Ende stellt, ist: Wo soll das enden? Werden die Medien irgendwann erkennen, dass sie sich selbst zerstören, wenn sie ihre Glaubwürdigkeit weiter untergraben? Oder wird der Weg in den Haltungsjournalismus konsequent fortgeführt, bis die letzten Zuschauer entnervt abschalten? Die Antwort darauf liegt noch im Dunkeln, doch die Zeichen stehen nicht gut.
Quellenangaben, Verweise und weiterführende Links
- Friedrichs, Hanns Joachim. Journalistische Ethik im 21. Jahrhundert. Veröffentlicht 1995.
- Reschke, Anja. „Warum Haltung heute wichtiger denn je ist.“ Die Zeit, Ausgabe vom 12. September 2021.
- Restle, Georg. „Haltungsjournalismus – Ein Plädoyer für mehr Moral in den Medien.“ Der Tagesspiegel, Ausgabe vom 5. Mai 2020.
- Böhmermann, Jan. „Meinungsfreiheit oder Hetze?“ ZDF Magazin Royale, Sendung vom 14. Februar 2022.
Müller, Johannes. Der Tod des Journalismus: Warum die Medien ihre Glaubwürdigkeit verloren haben. Verlag der Lügenpresse,